Keine Ahnung von gar nichts

Ai generiert, Klimawandel, Eisscholle.

Bild: Markus Distelrath

 

So so, Herr Dettling. Ihnen ist es also lieber, wenn es wärmer wird als kälter. Mit dieser Aussage dürfte der designierte neue SVP-Vorsitzende nicht alleine dastehen. Nur, wie viel wärmer darf es denn werden, damit ihm immer noch wohl ist? In der NZZ am Sonntag hat der Bauer aus Oberiberg die Vorteile des Klimawandels für seine Berufsgruppe gepriesen. Seltsam allerdings, dass seine Partei aus Klimaschutzgründen in der Schweiz neue Atomkraftwerke bauen will.

 

Wer sich in der Vergangenheit gefragt hat, warum sich die Schweizer Bauern so vehement gegen jegliche Klimaschutzmassnahmen, gegen den Schutz der Biodiversität und des Trinkwassers wehren, findet eine mögliche Erklärung im Interview mit Nationalrat und künftigem SVP-Parteichef Marcel Dettling in der NZZ am Sonntag. 

 

Dass sich das Klima verändert, leugnet der grosse Vorsitzende immerhin nicht. Nur, die Massnahmen dagegen, die bringen "kaum etwas". Denn, da ist sich der Bauer aus dem Kanton Schwyz sicher: "Wir können den Klimawandel nicht aufhalten." Dann setzt er seinem Defätismus gleich noch einen drauf: "Ich glaube, es gibt keine Schuldigen und niemanden, der den Wandel aufhalten kann."

 

Wirklich niemanden? Immerhin ist es eben die Bauernlobby, die mit allen Mitteln Wandel aufzuhalten versucht. Etwa wenn es um die Biodiversität geht. Ab diesem Jahr hätten die Schweizer Bauern auf mindestens 3,5 Prozent ihres Ackerlandes die Biodiversität fördern müssen. Die Bauernlobby hat es geschafft, dass die Auflage des Bundesrates um ein Jahr verschoben wird. Es ist nicht das erste Verzögerungsmanöver. Schon 2022 schob das Parlament die Umsetzung um ein Jahr hinaus.

 

Mit der "Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050" wollte der Bund unter anderem auch die Klimabelastung aus der Landwirtschaft senken, etwa indem Tierbestände reduziert und "die ackerfähigen Flächen überwiegend für die direkte menschliche Ernährung genutzt" werden sollten. Das schmeckte dem Bauernverband nun gar nicht. Die Bemühungen, die tierische Produktion einzuschränken und den Konsum zu lenken, sei problematisch, schrieb er in seiner Stellungnahme. Denn:

"Erstens wird deren Wirkung gemäss aktuellen wissenschaftlichen Grundlagen überschätzt."

"Und zweitens sind die Marktrealitäten zu anerkennen."

 

Mit den wissenschaftlichen Grundlagen ist es so eine Sache, die kann sich jede Interessensgruppe ohne grosse Probleme einkaufen. Auch die Marktrealitäten sind nicht ganz so real, wie sie der Verband gern hätte. Denn der Bund steuert gerade den Agrarmarkt äusserst intensiv. Mit der "Landwirtschaftlichen Absatzförderung" etwa. Bis 2025 gibt der Bund jährlich 39 Mio. Franken für die Absatzförderung tierischer Produkte aus. Für pflanzliche sind es nur gerade acht Millionen. 

 

Dank den Aussagen von Herrn Dettling in der NZZ am Sonntag wird nun die Strategie der Bauern und der SVP vollends transparent. Was ihn störe, sagt er etwa, sei, dass mit Klimamassnahmen die Leute abgezockt würden. "Man verteuert den Strom, den Treibstoff und hat das Gefühl, damit das Klima zu ändern. Das ist Scharlatanerie." Deshalb will er auch alles unternehmen, um das neue Stromgesetz am 9. Juni an der Urne bachab zu schicken. 

 

Das Klima, so Dettling, habe sich über die Jahrhunderte immer wieder geändert. Dann setzt er zu einem, gelinde gesagt, sehr abenteuerlichen historischen Exkurs an: "Wenn Sie nur an die Kleine Eiszeit denken: Es kam zu Missernten, man hatte nichts zu essen, und es kam zu Hexenverfolgungen." Die Schuld am Klimawandel dem Menschen in die Schuhe zu schieben, sei einfach nur eine neue Form der Hexenjagd. 

 

Neue AKW in der Schweiz, das hingegen findet der Bauer, der eine eigene Solaranlage besitzt, eine gute Idee. Er unterstützt die Blackout-Initiative, die letzte Woche eingereicht worden ist und das Neubauverbot für AKW aufheben will. Auf die Frage, wann denn das erste neue AKW in Betrieb gehen soll, schiebt er Unwissen vor: "Ich weiss nicht, wie lange die Konstruktion dauert." Richtige Antwort: 20 bis 25 Jahre. Allerdings setzt er hier auf die Durchschlagskraft des Bundes: "Aber wir sehen ja beim Solarausbau, wie schnell es gehen kann, wenn der Bund etwas durchboxt." Und ja, Herr Dettling, der Solar-Express rauscht ja zurzeit ungebremst durchs Land.

 

Doch auch der boxende Bund kann an den Bauzeiten eines Atommeilers nichts ändern. Und der Strom wird jetzt gebraucht, nicht erst in 25 Jahren. Zudem gibt's einen zweiten kleinen Schönheitsfehler: Kein Stromunternehmen ist willens, die Milliarden für einen Neubau zu stemmen. 

 

Dass der Klimawandel den Wintersportgebieten in der Schweiz die Existenzgrundlage zu entziehen droht, ist für Dettling scheinbar auch kein Thema. In Oberiberg, so Dettling, herrschten zurzeit perfekte Bedingungen, anders als in der übrigen Schweiz. (Laut dem aktuellen online-Schneebericht sind dort drei Skilifte "wegen Schneemangel geschlossen".) Und überhaupt ist es ganz gut, dass immer weniger Schnee fällt, denn: "Wenn man in den Bergen aufwächst, dann hat man irgendwann im langen Winter fast eine Depression."

 

Vielleicht haben sich die langen Winter doch irgendwie auf den SVP-Nationalrat ausgewirkt. Denn die totale Realitätsverweigerung des demnächst eingesetzten Vorstehers der grössten politischen Partei der Schweiz macht schon ein kleines Bisschen fassungslos. 

 
Christa Dettwiler

Kommentar schreiben

Kommentare: 0