Der grosse Katzenjammer

Ai generiert, Klimawandel, Eisscholle.

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Es ist ein sehr sportliches Ziel, das sich die Europäische Union gesetzt hat: Innerhalb der nächsten 16 Jahre wollen die Staaten der EU ihre Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 90 Prozent senken. Damit wäre der Weg zur Klimaneutralität nicht mehr weit. Dass die Zeit drängt, zeigen nicht nur die Temperaturmessdaten des letzten Jahres, auch die Menschen spüren tagtäglich, dass das Klima aus dem Lot geraten ist.

 

Noch ist das EU-Reduktionsziel kein Gesetz, sondern nur eine Empfehlung. Auch die konkreten Massnahmen sind nicht ausformuliert, dennoch soll nach den Europawahlen im Juni eine konkrete Gesetzesvorlage eingebracht werden. Ist es der grosse Wurf? Das ist aktuell nicht abschliessend zu beantworten. Jedenfalls zeigt die EU-Kommission Mut, wenige Monate vor den Wahlen scharfe Klimaziele vorzulegen, zumal verschiedene Länder das Thema zurzeit lieber auf das rasch schmelzende Eis legen möchten.

 

Immerhin bedeuten diese 90 Prozent den nahezu vollständigen Ausstieg aus fossilen Energieträgern, etwas, das am letzten Klimagipfel zu erbittertem Streit und einer zahnlosen Empfehlung geführt hatte.  Es wird gewaltige Anstrengungen brauchen, um dieses Ziel zu erreichen, das im Übrigen am unteren Ende der von Klimawissenschaftern geforderten 90 bis 95 Prozent Reduktion liegt. In den drei Jahrzehnten zwischen 1990 und 2021 haben die 27 EU-Staaten nur gerade eine Reduktion von rund 30 Prozent geschafft. Das heisst, jetzt haben sie noch halb so viel Zeit um  das Doppelte zu erreichen. 

 

Der EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra spricht denn auch von einem Marathon, nicht von einem Sprint. "Wir müssen sicherstellen, dass alle über die Ziellinie kommen und niemand zurückbleibt." Das wird wohl auch die grösste Herausforderung sein: Alle die verschiedenen Staaten und Partikularinteressen auf dasselbe Ziel einzuschwören. So wurden etwa Methan-Reduktionsziele für die Landwirtschaft auf den heftigen Protest der Bauern hin gleich wieder aus dem Vorschlag gekippt. 

 

Zwar sind Klimaschutzmassnahmen generell mehrheitsfähig - so lange sie weder das eigene Portemonnaie tangieren noch den eigenen Interessen zuwiderlaufen. Wobei auch hier Überraschungen durchaus möglich sind. Ein Team der Universität Bonn hat der Weltbevölkerung auf den Zahn gefühlt und Antworten von gegen 130 000 Menschen aus 125 Ländern ausgewertet.

 

So waren 86 Prozent der Befragten der Meinung, die Bevölkerung ihres Landes sollte etwas gegen den Klimawandel tun, und 89 Prozent wollten die Regierung stärker in die Pflicht nehmen. Nun ist es aber so eine Sache mit Umfragen. Eine Mehrheit der Befragten etwa wäre bereit, ein Prozent des Haushaltseinkommens  für Klimaschutz zu spenden, glaubt aber, dass weniger als die Hälfte ihrer Mitbürgerinnen ebenfalls dazu bereit wären. Zu vermuten ist, dass die Bereitschaft zu zahlen rapide sinken würde, käme jemand mit dem Klingelbeutel vorbei. Da kommt doch die Initiative gerade recht, die die Juso Schweiz kürzlich eingereicht hat. Sie verlangt, Erbschaften und Schenkungen ab 50 Millionen Franken mit 50 Prozent zu besteuern. Diese Steuer würde jährlich um die sechs Milliarden Franken einbringen, die für sozial gerechte Klimaschutzmassnahmen und einen ökologischen Umbau der Wirtschaft eingesetzt werden müssten. 

 

Wie zwiespältig Umfragen sind, zeigt auch jene des Bundesamtes für Statistik, (BFS) die anfangs Februar veröffentlich wurde. Neun von zehn der etwas über 3 000 Befragten nehmen Veränderungen des Klimas wahr. Und fast die Hälfte glaubt, dass die Menschen in der Schweiz umweltfreundlicher werden. Hier wiegelt das BFS gleich ab und meint, diese Einschätzung widerspiegle sich nur bedingt im Verhalten. Bei genauerem Hinsehen, bewegten sich die Daten bei Heizgewohnheiten oder beim Achten auf den Energieverbrauch im selben Rahmen wie 2019.

 

Auch bei der Klimajugend ist die grosse Ernüchterung eingekehrt. Die Euphorie sei verflogen, stellt Cyrill Hermann, Sprecher von Klimastreik Schweiz, nüchtern fest: "Unsere Stimmen von damals wurden nicht gehört. Wir haben auch nichts mehr in der Hand, mit dem wir Leute dafür begeistern könnten, auf die Strasse zu gehen. Wir wurden desillusioniert und von der internationalen Politik fallen gelassen."

 

Da nützt auch das "klare Warnsignal" des EU-Klimawandeldienstes Copernicus nichts, der letzte Woche mitteilte, dass die globalen Temperaturen im Januar 2024 höher waren als je zuvor. Und damit ist auch die Erderwärmung erstmals über einen Zeitraum von einem ganzen Jahr durchschnittlich über 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Und wenn die Januar-Temperaturen ein Indikator sind, dürfte auch dieser Rekord im nächsten Jahr bereits überboten sein. Man nimmt es zur Kenntnis und geht zur Tagesordnung über. 

 
Christa Dettwiler

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