Energie ist ein wertvolles Gut. Und das hat seinen Preis. Der Preis für Strom und Wärme wird auch im kommenden Jahr teurer, teilweise deutlich teurer. Eine Möglichkeit, sich von schwankenden
Energiepreisen unabhängig zu machen, ist ein eigenes Kraftwerk auf dem Dach mit einem Speicher irgendwo im Haus. Das Potenzial dafür ist beträchtlich. Wie gross es ist, haben Forschende des
Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gemeinsam mit Partnern untersucht.
Schon im laufenden Jahr hatten etliche Haushalte einen Schock zu verdauen, als die Stromrechnung ins Haus flatterte. Durchschnittlich stieg der Strompreis um 27 Prozent. Die Prognosen fürs
nächste Jahr sehen nicht viel besser aus: Laut Berechnungen der Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom dürfte der Anstieg noch einmal 18 Prozent ausmachen.
Die Gründe sind vielfältig. Da sind einmal die angestiegenen Strompreise am Markt, die Energieversorger vermehrt an die Kundinnen weitergeben. Auch die Kosten der Winterreserve werden via einen
Zuschlag weitergereicht. Weil das UVEK (Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) die Kapitalverzinsung angehoben hat, steigen auch die Netznutzungstarife. Bei den Preisen für
eine warme Stube sieht's nicht besser aus. Hier spielen vor allem auch die Unwägbarkeiten der politischen Turbulenzen der Welt eine entscheidende Rolle.
Mit der zunehmenden Elektrifizierung der Welt und einer Energieversorgung, die möglichst keine Treibhausgase verursacht, ist auf absehbare Zeit nicht mit sinkenden Tarifen zu rechnen. Grund
genug, um sich über eine eigene saubere und erneuerbare Energieversorgung Gedanken zu machen. Wie gross das Potenzial für Unabhängigkeit ist, hat das KIT zusammen mit Partnern untersucht und die
Ergebnisse im Fachblatt Joule publiziert.
Heute schon könnten mehr als die Hälfte der europäischen Einfamilienhäuser dank PV-Anlage und Batteriespeicher energieautark werden, technisch gesehen. Mit Mehrinvestitionen von 50 Prozent
könnten sich bis 2050 sogar mehr als zwei Millionen Gebäude ganz und gar netzunabhängig machen. Bislang sind sogenannte Inselanlagen eine Seltenheit. Denn die Vorstellung einer zentralen
Energieversorgung mit grossen Kraftwerken und Stromnetzen ist tief verankert, wie auch die Idee, dass diese Art die tiefsten Kosten verursacht. Mit dem Aufschwung der erneuerbaren Energien,
spätestens aber seit der Produktionspreis für Solarstrom teils sogar tiefer liegt als für herkömmlichen Strom, wandelt sich dieser Glaube. "Durch Investitionen in lokale Energieversorgungssysteme
kann ein Grossteil des eigenen Stromverbrauchs selbst gedeckt und damit die Abhängigkeit von hohen Strompreisen reduziert werden", sagt Hauptautor Max Kleinebrahm vom KIT.
Gemeinsam mit Forschenden der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts hat das KIT die Möglichkeiten einer vollständigen Selbstversorgung mit Strom und Wärme untersucht. Mit Hilfe neuster
Datenbanken und Rechenmethoden wurden für 4000 repräsentative Einfamilienhäuser kostenoptimierte energieautarke Versorgungssysteme konfiguriert und die Ergebnisse auf 41 Millionen
Einfamilienhäuser übertragen. Diese wiederum wurden auf das technische und wirtschaftliche Potenzial abgeklopft, wie sie sich aktuell und künftig (2050) vom Netz lösen könnten.
Die Analysen zeigen ein besonders grosses Potenzial in Regionen mit wenig ausgeprägten Jahreszeiten, etwa Spanien, und hohen Strompreisen, z.B. Deutschland. Schon unter den heutigen Bedingungen
könnten sich 53 Prozent der 41 Millionen Gebäude autark versorgen. Bis 2050 könnte dieser Prozentsatz gar auf 75 steigen. "Unter heutigen Bedingungen sind 52 Prozent der 41 Millionen Gebäude
technisch in der Lage, sich unabhängig von externer Infrastruktur allein durch die Nutzung der lokalen Sonneneinstrahlung auf dem Dach zu versorgen, und dieser Anteil könnte aufgrund verbesserter
Technologien bis 2050 auf 75 Prozent steigen", sagt ETH-Professor Russell McKenna. Mit einer Investition bis zu 50 Prozent mehr als für ein vergleichbares Energiesystem mit Netzanschluss, könnten
bis 2050 bis zu zwei Millionen Einfamilienhäuser das Netz verlassen, rechnet er weiter vor.
Wie ein optimales Energiesystem aussehen könnte, erklärt Dr. Jann Weinand vom Forschungszentrum Jülich: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein erfolgreiches, kostenoptimales und autarkes
Energeversorgungssystem für Gebäude in Mitteleuropa aus Photovoltaik zur Stromerzeugung sowie einer Kombination von kurzfristiger Batteriespeicherung und einem langfristigen, saisonalen
Wasserstoffspeichersystem bestehen wird."
Wie sich eine zunehmende Energieautarkie auf die bestehenden Systeme auswirken wird, wollen die Forschenden weiter untersuchen. Entgegen landläufiger Meinung vermuten sie allerdings einen
positiven Effekt. So könnten teilautarke Wohnhäuser etwa die Nachfrage zu Spitzenzeiten dämpfen und übergeordnete Energiesysteme stabilisieren.
Wer nun Lust darauf bekommen hat, sich vom Netz zu befreien, findet sämtliche Details und Berechnungsmethoden im Joule-Artikel.
Christa Dettwiler