Noch liegt sie nicht auf der Intensivstation, die Erde, aber sie ist auf dem besten Weg dahin. Die Gründe für ihren lamentablen Zustand sind vielfältig, die Ursache jedoch ist in jeden Fall gleich: Die menschliche Spezies. Sie hat noch immer nicht gelernt, die Grenzen ihres Heimatplaneten zu respektieren. Dass gewisse Politiker ab und an auch die Grenzen des Anstandes vergessen, hat die Abstimmung im Wallis zur erleichterten Bewilligungspraxis für alpine Solaranlagen einmal mehr deutlich gemacht.
«Unverfroren» nennt der Tages-Anzeiger das, was die Umweltkommission des Ständerates (Urek) in seinem Entwurf zum neuen CO2-Gesetz vorgelegt hat. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 halbiert werden. So steht es im Gesetzesentwurf, «in erster Linie im Inland». Emissionen können aber auch mit dem Kauf von CO2-Zertifikaten im Ausland kompensiert werden, laut Gesetzesentwurf dürfte das rund ein Drittel sein. Die Reduktionen sollen also grösstenteils mit nationalen Anstrengungen erreicht werden.
Nun ist bei dieser Rechnung aber einiges ganz anders geworden, insbesondere, wenn man den Zeitrahmen des neuen Gesetzes betrachtet – 2025 bis 2030. Jetzt pressiert es nämlich plötzlich: 50 Millionen Tonnen CO2 müssen eingespart werden. Gemäss einem neuen Papier des Bundesamtes für Umwelt sollen das jetzt 30 Mio. Tonnen «ausländisches» CO2 sein. Das ist doppelt so viel wie das vorgesehene Drittel. Und genau diesen Export der Verantwortung wird von der ständerätlichen Umweltkommission übernommen, wenn auch mit 6 zu 5 Stimmen äusserst knapp.
Für Lisa Mazzone, Ständerätin aus Genf und selbst Urek-Mitglied, ist klar: Die Mehrheit der Kommission missachtet einen Volksentscheid. Denn im Klimaschutzgesetz, das eben dieses Volk im Juni angenommen hat, heisst es unmissverständlich, die Klimaneutralität bis 2050 müsse «so weit wie möglich» mit Emissionsminderungen im Inland erreicht werden.
«So weit wie möglich» ist ein ausreichend schwammiger Begriff, damit ihn alle nach eigenem Gutdünken interpretieren können. Wie weit ist es möglich, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen im Inland ernsthaft in die Wege zu leiten? Wahrscheinlich nicht sehr weit, wenn die Urek die Tür weit aufstösst, um sich im Ausland mit teils äusserst fragwürdigen Klimaprojekten freizukaufen. Allerdings, und das hat die Kommission vielleicht nicht bedacht, werden Emissionsrechte im Ausland immer teurer, da sich alle Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens bis 2050 zur Klimaneutralität verpflichtet haben. Und die Zeit läuft ...
Wenn man den Strommix anschaut, der in der Schweiz aus der Steckdose kommt, sollte es eigentlich nicht sehr schwierig sein, auf Fossiles zu verzichten. Er stammte im letzten Jahr nämlich zu 79 Prozent aus erneuerbaren Quellen, 21 Prozent lieferten Atomkraftwerke und nur gerade zwei Prozent fossile Energieträger. Auch die Schweizer Stromproduktion ist nahezu fossil-frei: Nur 1,4 Prozent wurden letztes Jahr mit Fossilen produziert. Aber eben: Strom ist nur ein Teil der fossilen Rechnung. Bund und Urek sind offenbar der Meinung, dass die Fossilen – etwa für Verkehr oder Heizung – zwingend notwendig bleiben, mindestens bis ins Jahr 2050 und wohl darüber hinaus. Da ist es doch einfacher, sich mit Emissionsrechten freizukaufen. Auch wenn etliche so genannte Klimaschutzprojekte irgendwo auf der Welt kaum auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Der Ständerat hat nun diese Woche die Gelegenheit, den Kurs der Urek zu korrigieren und entsprechend dem Volkswillen Verantwortung für den eigenen Garten zu übernehmen.
Wem dieses Zaudern und Zögern und Vermeiden zu viel wird, sei ein Besuch der neuen Dauerausstellung «Alles lebt – mehr als menschliche Welten» im Museum der Kulturen in Basel empfohlen. Anhand verschiedener Beispiele zeigt die Ausstellung wie Welten im Gleichgewicht aussehen können. Inuit in Grönland, Apachen in Amerika oder Aborigines in Australien leben nach der Idee, dass ein gutes Leben nur möglich ist, wenn es der Mitwelt ebenfalls gut geht Wenn auch Flüsse, Bäume oder Tiere ein Lebensrecht besitzen und nicht einfach dem Menschen als Ressourcen dienen, die es zu nutzen oder auszubeuten gilt.
Christa Dettwiler