Mensch, Planet!

Photovoltaik Panles an der Strasse
Foto: Alex_Wang1 I iStock

Noch liegt sie nicht auf der Intensivstation, die Erde, aber sie ist auf dem besten Weg dahin. Die Gründe für ihren lamentablen Zustand sind vielfältig, die Ursache jedoch ist in jeden Fall gleich: Die menschliche Spezies. Sie hat noch immer nicht gelernt, die Grenzen ihres Heimatplaneten zu respektieren. Dass gewisse Politiker ab und an auch die Grenzen des Anstandes vergessen, hat die Abstimmung im Wallis zur erleichterten Bewilligungspraxis für alpine Solaranlagen einmal mehr deutlich gemacht. 

Letzte Woche hat ein Team von Wissenschaftlerinnen Alarm geschlagen. Sechs der neun erstmals im Jahr 2009 definierten planetaren Grenzen seien überschritten, das Risiko eines Kollapses  sei damit beträchtlich gestiegen. «Wir können uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen und die planetaren Grenzen als eine Form des Blutdrucks», erklärt eine der Autorinnen der Studie, Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen. «Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko.» Und Ko-Autor Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimaforschung (PIK) doppelt nach: «Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen.»

 

Die planetaren Grenzen beschreiben die Parameter innerhalb welcher Veränderungen in den lebenserhaltenden Systemen, die während der letzten 10’000 Jahre relativ stabil waren, noch zu managen sind. Werden diese Grenzen überschritten, wird alles extremer, unstabiler und gefährlicher. Das erleben wir bei der Klimaveränderung schliesslich hautnah. Auch bei der Unversehrtheit der Biosphäre sei der sichere Bereich deutlich überschritten, stellen die Wissenschaftler fest und verweisen auf das Artensterben und die Zerstörung von Lebensräumen. «Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten», erklärt Co-Autor Wolfgang Lucht vom PIK. «Und wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule.»

 

Der Mensch belastet nicht nur das Klima mit Schadstoffen. Zahllose chemische Verbindungen, dazu gehören auch Mikroplastik, Pestizide oder Atommüll vergiften die Umwelt bis in die entlegensten Winkel der Erde. Deshalb weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass nicht nur fossile Energieträger ausgemustert gehören, auch die Art und Weise der Landwirtschaft müsse dringend überdacht werden, sei sie doch mitverantwortlich für Abholzung, Verlust von Lebensräumen und massiver Umweltverschmutzung. 

 

Die Grenze der Klimaerwärmung wurde von der Staatengemeinschaft vor gerade einmal acht Jahren in Paris auf 1,5 Grad plus festgesetzt. Sie ist bereits Illusion. Mehr noch, die Ausmusterung von Kohle, Öl und Gas wurde am letzten Klimagipfel Cop 27 von der Agenda gestrichen. In zwei Monaten ist es in Dubai wieder so weit, wenn sich die Staaten zum Cop 28 versammeln, unter der Präsidentschaft von Sultan Al Jaber, der im richtigen Leben die Nationale Ölgesellschaft von Abu Dhabi präsidiert. Jene Gesellschaft, die aktuell eine massive Ausweitung ihres Öl- und Gasgeschäfts plant. 

 

Auch hierzulande geschieht Grenzwertiges. Seit die Walliser das hürdenfreie Durchwinken alpiner Solaranlagen abgelehnt haben, werden die Grünen beschimpft und verunglimpft – auch von den Grünliberalen. Die Grünen verhinderten nicht nur die Energiewende, sie seien auch schuld daran, dass jetzt neue AKW gebaut werden müssten – nur weil sie auf einen verantwortungsvollen Ausbau der Solarenergie pochen. Wenn das bürgerliche Parlament doch derart besorgt ist, warum hat der Nationalrat dann die Solarpflicht auf Neu- und Umbauten aus dem Mantelerlass gekippt? Dabei zeigt die neuste Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften auf, was die Sonne auch im Mittelland zu leisten vermag: 9’250 Gigawattstunden wären allein im Kanton Zürich auf Dächern und Fassaden zu ernten – mehr als der Kanton Graubünden mit Wasser generiert. Würden auch landwirtschaftliche Flächen mit einbezogen, stiege das theoretische Potenzial sogar auf mehr als 30’000 GWh. 

 

Aber eben: Um überall dort Sonne zu ernten, wo es Sinn macht, so wie das die Walliser Grünen in ihrem Abstimmungsslogan «auf die Dächer, nicht in die Natur» vorschlugen, tangiert Privatbesitz. Und diesen anzutasten ist für bürgerliche Politikerinnen und Politiker absolut undenkbar. Lieber unberührte Landschaften voll pflastern  und noch mehr Autobahnen bauen, planetare Grenzen hin oder her. Für unseren Energie- und Klimaminister Albert Rösti gibt's keine Zweifel: «Wir brauchen überall Ausbauten; es ist einfach so.» Man sei der nächsten Generation eine ausgebaute Verkehrsinfrastruktur schuldig. Wohl damit sie dem Klimakollaps auf sechs oder acht Spuren davonfahren kann.

Christa Dettwiler