Die Schweiz macht sich Sorgen – und wie. Welche Sorgen das sind, misst die Credit Suisse alljährlich in ihrem «Sorgenbarometer». In der letzten Umfrage führten Umwelt und Klimawandel die Sorgenliste an – trotz Inflation, Krieg und Nachwirkungen der Pandemie. An dritter Stelle, nach der Altersvorsorge, sorgt sich das Volk um Energiefragen. Und diese wiederum haben einen direkten Zusammenhang mit der Umwelt und dem Klimawandel. Dass die Strompreise im kommenden Jahr durchschnittlich um 18 Prozent steigen werden, dürfte die Sorgen des Volkes nicht eben vermindert haben. Dennoch: Strom um jeden Preis will zumindest die Walliser Bevölkerung nicht, die am vergangenen Sonntag dem alpinen Solarexpress einen massiven Stein auf die Schienen gehievt hat.
«Preisschock» war noch das Dezenteste, was die Medien zur Publikation der Stromtarife 2024 zu sagen hatten. Für gewisse Gemeinden trifft dieser Begriff tatsächlich zu. Etwa für Büttikon im Aargau. Dort wird Strom gleich um 212 Prozent teurer. Das Preisniveau schwankt schweizweit enorm. Das hat mit der Energiebeschaffung zu tun. Energieversorger müssen Strom einkaufen, um die Versorgungssicherheit für ihre Kundinnen zu gewährleisten. Während sich die einen schon vor Jahren zu günstigen Preisen eingedeckt haben, mussten andere kurzfristig auf einem Markt einkaufen, der vom Krieg in der Ukraine ordentlich durchgeschüttelt worden ist. Ins Gewicht fällt auch, wie viel Strom ein Energieversorger selbst produziert. Eine hohe Eigenproduktion mindert die Risiken von hohen Marktpreisen.
Die neue Abgabe für eine Stromreserve, die der Absicherung der Stromversorgung im Winter dient, schlägt zusätzlich auf die individuelle Stromrechnung durch. Dazu kommen erhöhte Netznutzungstarife. Gleich geblieben ist dagegen der Netzzuschlag von 2,3 Rp./kWh, der der Förderung erneuerbarer Energien zukommt.
Aus eben diesem Netzzuschlag sollen auch die happigen Subventionen berappt werden, die der Bund alpinen Solaranlagen zugesagt hat, sofern sie bis 2025 mit mindestens zehn Prozent ihrer Leistung am Netz sind. Bis zu 60 Prozent der Kosten will der Bund im Zug des «Solarexpress» beisteuern. Dieses Lockvogelangebot will sich keiner der alpinen Kantone entgehen lassen. Mittlerweile werden an die 200 Projekte herumgeboten.
Diesem Solarexpress, vom Parlament auf die Schienen gestellt, sollen möglichst alle Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Beschleunigte Bewilligungsverfahren sollen Einsprachen etwa von Umweltverbänden ihre aufschiebende Wirkung entziehen. So aktuell im Wallis, wo die alpinen Anlagen mit Peter Bodenmann und Ständerat Beat Rieder (Die Mitte) prominente Fürsprecher und Einpeitscher haben. Zehn Projekte sind allein im Wallis in Arbeit.
Und nun das: Die Walliser Stimmenden haben eben diesem beschleunigten Bewilligungsverfahren eine Abfuhr erteilt. Ganz demokratisch an der Urne. Wie sich das gescheiterte Solardekret auf den Solarexpress auswirken wird, muss sich erst noch weisen. Mit Verspätungen muss sicher gerechnet werden.
Die anfängliche Euphorie jedenfalls ist verflogen. Nach und nach kristallisieren sich nämlich die Herausforderungen heraus, die eine solare Anbauschlacht in den Alpen so mit sich bringt. Es gibt kaum Erfahrungen, auf die man zurückgreifen kann. Jedes Projekt muss sich neu erfinden. Wie Tonnen von Stahl und Tausende Solarpanels in die Berge geschleppt werden sollen, ist nicht durchdacht. Mit den Solarmillionen vor Augen, wurde auch nicht bedacht, dass das Schweizer Stromnetz den Turbo-Ausbau gar nicht aufnehmen kann. Ein Anfängerfehler würde man meinen, eine Anbauschlacht auszurufen, ohne die Netzkapazität zu berücksichtigen. Dabei hat der Kanton Wallis noch einen zweiten groben Fehler gemacht. Während der Kanton Bern einen runden Tisch mit Initiantinnen, Netzbetreibern und Umweltverbänden einberief, und danach 17 von geplanten 35 Projekten zurückzog, hatte das Wallis kein Interesse daran.
Die vom Bund vorgesehenen 3 bis 3,5 Milliarden Fördergelder, die dem einen oder der anderen den Kopf verdreht haben, werden wohl noch etwas auf Abnahme warten müssen. Bis 2025 dürften nach heutigem Stand in diesem Programm erst maximal 150 MW installiert sein. Das reicht für 10’000 bis 15’000 Haushalte. Im Mittelland werden laut Förderagentur Pro Novo zurzeit fast 100 MW installiert – pro Monat.
Christa Dettwiler