Zwischen Druck und Kompromiss

Foto: Bruno Figueiredo I Unsplash
Foto: Bruno Figueiredo I Unsplash

Fünf Jahre ist es her, dass sich Greta Thunberg vor das schwedische Parlament in Stockholm setzte – um mehr Klimaschutz einzufordern. Aus ihrem «Schulstreik» hat sich eine weltweite Bewegung entwickelt, die allenthalben konsequente Massnahmen fordern, damit das Erdklima nicht noch mehr aus den Fugen gerät. Thunbergs Fazit nach fünf Jahren: «Auch wenn wir immer wieder gezeigt haben, dass wir Millionen auf der ganzen Welt sind, die Veränderungen fordern, bewegt sich die Welt nicht in die richtige Richtung.» Kommt dazu, dass sich die Klimaschützerinnen immer stärker in widersprüchlichen Situationen wiederfinden.

Für die mittlerweile 20-Jährige ist klar, was es braucht: «Wir müssen den Druck aufrechterhalten und dürfen nicht zulassen, dass die Leute an der Macht Menschen und den Planeten für Profit und Gier opfern.» Profit und Gier. Das sind zwei Dinge, die in der wirklichen Welt schier unmöglich auszurotten sind. Der Schutz des Klimas ist davon nicht ausgenommen, solange Politik und Wirtschaft das Augenmerk fast ausschliesslich auf technische Lösungen gerichtet halten. Wenn schon Klimaschutz, dann muss er bitte auch rentieren. 

 

Und hier steckt eines der grössten Dilemmas der Klima- und Umweltbewegung. In der NZZ hat Kalina Oroschakoff die Widersprüchlichkeit analysiert. Der lokale Widerstand gegenüber neuen Bauprojekten wird nicht selten von Umweltverbänden angestossen oder jedenfalls mitgetragen. Er betrifft in erster Linie grosse Projekte zur Erzeugung erneuerbarer Energien mit Wind, Wasser, Sonne oder Geothermie. 

 

In ihrem Artikel befragt die Journalistin unter anderen auch einen der Grossen der amerikanischen und internationalen Umweltbewegung, Bill McKibben, zu dieser Widersprüchlichkeit. McKibben ist überzeugt, es sei an der Zeit, dass «Progressive, wie ich einer bin, lernen, den grünen Bauboom zu lieben». Zwar sei Nein zu sagen eine zentrale Qualität eines jeden Aktivisten, der gegen mächtige Unternehmen und Regierungen aufbegehre. Jetzt aber müsse die Bewegung umdenken. Er ist überzeugt, die einzige Möglichkeit, die Auswirkungen des Klimawandels zu mindern, bestehe darin, in grüne Technologien zu investieren. 

 

Wendel Trio, ehemaliger Leiter des Climate Action Network Europa (CAN), bläst ins gleiche Horn, denn «langfristig gesehen ist der Kampf gegen den Klimawandel gut für die Biodiversität». Der deutsche Naturschutzbund (Nabu) kontert, dass Klimaschutz nicht auf dem Rücken der Natur ausgetragen werden dürfe. Man müsse halt einfach sorgfältiger planen. 

 

Nun ist das mit dem sorgfältigen Planen so eine Sache. Die vom Bund forcierte Schweizer Solaroffensive gibt da ein schlechtes Beispiel ab. Weil er für alpine Solaranlagen ein Zeitlimit für Subventionen gesetzt hat, schiessen überdimensionierte und wenig durchdachte Projekte nur so aus dem zunehmend ausgedörrten Boden. So wurde in Grengiols nicht bedacht, dass Unmengen an Material hingebracht und der Strom auch irgendwie abtransportiert werden müssen. 

 

Aktuell erlebt das Bündnerland einen Run auf die Subventionen. Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA hat recherchiert und ist auf mindestens zehn Projekte gestossen, die von Energieunternehmen auch aus dem Unterland vorangetrieben werden. Anders als im Wallis sollen die meisten Projekte in der Nähe von Skigebieten und bereits bestehender Infrastruktur entstehen. Dennoch: Um sauberen Strom für zwischen 2’000 und 50’000 Haushalte zu produzieren, braucht es Flächen von einem Dutzend Hektar bis zu fast einem Quadratkilometer. 

 

Zwei Projekte haben bereits die Zustimmung der Gemeinden erhalten. Laax und Samedan haben den Solarvorhaben zugestimmt. Noch ist kein Projekt beim Kanton, der letztlich die Baubewilligung erteilen wird, eingereicht worden. Auch Amtsvorsteher Thomas Schmid weiss, was es für ein erfolgreiches Vorhaben braucht: «Gute Projekte in Gebieten, die bereits erschlossen und bereits anderweitig belastet sind – durch Infrastrukturanlagen wie Skianlagen, Staumauern etc. – werden bessere Realisierungschancen haben.»

 

Zwar würden Pro Natura Graubünden und die Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness Solarpanels auf bestehender Infrastruktur bevorzugen, letztere ist aber «aufgeschlossen gegenüber Anlagen in bereits erschlossenen und vorbelasteten Gebieten». Pro Natura dagegen sieht alpine Freiflächenanlagen «in jedem Fall kritisch».

 

Und da ist es wieder, das Dilemma. Und es wird sich so lange nicht auflösen, wie das Heil in technischen Lösungen und Projekten gesucht wird, die unbedingt Profit abwerfen müssen. So lange wird es Bewegungen geben, die Nein sagen müssen. «Renovate Switzerland» hat für einmal etwas Neues probiert. Anstatt sich am Gotthard festzukleben, haben Vertreterinnen der Organisation das Locarno Filmfestival heimgesucht. Anstatt beschimpft und angepöbelt zu werden, hat sie ein aufmerksames Publikum mit Applaus belohnt.

Christa Dettwiler