Sie kommt genau zur richtigen Zeit, die grüne Solarinitiative, und sie fordert auch das, was angesichts der klimatischen Entwicklung dringend notwendig wäre: 15 Jahre nach Annahme der Initiative muss auf allen geeigneten Häusern in der Schweiz ein Sonnenkraftwerk aufs Dach oder an die Fassade. Die Frist kann bei Härtefällen bis 2050 verlängert werden. Der Aufschrei der Bürgerlichen ist laut, obwohl auch ihnen die Rekordhitze zu denken geben müsste.
Künftig brauchen wir massiv mehr Energie – nicht zum Heizen, sondern zum Kühlen. Die Schweiz, das zeiget eine neue Studie der Universität Oxford, gehört weltweit zu den am härtesten betroffenen Staaten, wenn es um den Temperaturanstieg geht. Tatsächlich steht die Schweiz an der Spitze der betroffenen Länder, gefolgt von Grossbritannien und Norwegen. Das angepeilte 1,5 Grad-Ziel ist längst Geschichte. Schon jetzt liegen die Temperaturen um 2 Grad höher als vor 150 Jahren. Das bedeutet auch mehr Hitzetage und Hitzeperioden, die andauern.
Diese Entwicklung bringt ganz neue Herausforderungen mit sich, eine insbesondere: Wie verschafft sich die Bevölkerung Abkühlung? Der Norden Europas sei «gefährlich unvorbereitet» auf diese neue Situation. Tatsächlich hat sich die Schweiz bislang wenig um die Kühlung ihrer Gebäude kümmern müssen. Angesichts der klimatischen Entwicklung habe man falsch gebaut und gekühlt.
Sven Eggimann, Energiesystemforscher an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften sieht das genauso. In der Schweiz werde immer noch für den Winter gebaut. Und an Heizsystemen entzünden sich auch jetzt noch die meisten politischen Debatten. Dabei wären Pläne für eine wirksame Kühlung sehr viel dringender. Eggimann zählt auf: Gerade Gebäude, die in den letzten 20 Jahren gebaut wurden, sind denkbar schlecht auf eine steigende Hitze vorbereitet: Grosse Fenster, nach Süden ausgerichtet, Mauern aus Stein oder Beton, die sich stark erwärmen und nur langsam auskühlen. Die Umgebung tue das Übrige, sagt der Experte: «Wir haben urbane Hitzeinseln. Viele Städte sind wenig grün, sondern grau und versiegelt.»
Eine wirksame Methode, kühle Luft ins Haus zu bringen, sind Klimaanlagen. Der Bedarf dürfte in Zukunft massiv ansteigen – selbstverständlich mit dem entsprechenden Energieverschleiss. Kleine, mobile Anlagen benötigen etwa 20-mal mehr Strom als ein Ventilator. Diesen Zusatzverbrauch dürfte das Stromnetz der Zukunft über seine Grenzen hinaus belasten. Es gibt Alternativen, die weniger Strom fressen. Wärmepumpen, die im Winter heizen und im Sommer kühlen oder Fernkühlsysteme mit Seewasser.
Doch dafür müssen dringend entsprechende Strategien her. Und die gibt es zurzeit kaum. Der Tages-Anzeiger hofft, dass die grossen Städte hier vorangehen «und damit vielleicht bewirken, dass die Schweiz die Liste gefährlich unvorbereiteter Länder in Zukunft nicht mehr anführen wird».
Einen Versuch – nicht zur Kühlung, aber immerhin zur Verminderung des CO2-Ausstosses – macht der Kanton Basel-Stadt. Das Bau- und Verkehrsdepartement hat mit Fachleuten einen CO2-negativen Strassenbelag entwickelt. Das Geheimrezept ist Pflanzenkohle, die dem Asphalt beigemischt wird. Michael Schweizer vom Basler Tiefbauamt erklärt, dass etwa zwei Prozent des Asphalts durch Pflanzenkohle aus Basler Grüngut ersetzt werde. «Der Belag spart etwa 30 Prozent mehr CO2 ein, als er einst in der Produktion verursacht hat.»
Jeder Versuch, den CO2-Ausstoss zu deckeln oder gar zu reduzieren, ist wichtig. Wichtig wäre auch, eine geschlossene Unterstützung aller Massnahmen, um die Stromproduktion auf erneuerbare Quellen umzustellen. Wenn aber, wie jetzt gegen die grüne Solarinitiative, «Eingriff in Eigentumsrechte» und «drohende Hausverkäufe» ins Feld geführt werden, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass uns das Etikett «gefährlich unvorbereitet» nicht nur beim Kühlen erhalten bleibt.
Christa Dettwiler