Solar-Express mit Nothalt

Bild: Jana Shnipelson I Unsplash
Bild: Jana Shnipelson I Unsplash

Die Energiedebatte ist (vorläufig) beendet, und von der vollmundig angekündigten Solaroffensive ist ein «Offensivchen» übriggeblieben. Das ist irgendwie keine Überraschung. Angesichts der Tatsache, dass die vielbeschworene Strommangellage dank eines überaus milden Winters nicht eingetreten ist, scheint die Dringlichkeit nicht mehr so gross. Dass sich die Klimaveränderung mit allerhand Wetterextremen bemerkbar macht, scheint im Bundeshaus niemand gross bemerkt zu haben. 

Einer, der Klartext spricht, ist Andreas Fischlin. Der 73-Jährige leistet seit 30 Jahren Arbeit für den Weltklimarat, der aktuell in Interlaken an den letzten Formulierungen seines neusten Berichts feilt. «Ich halte das Klimaproblem für eine Überlebensfrage, und wo ich mir dank Wissenschaft meiner Sache sicher bin, scheue ich mich auch nicht, nachweislich zielführende Massnahmen zu befürworten. Wir können heute zuverlässig aufzeigen, dass allein die volle Nutzung der bestehenden und geplanten fossilen Infrastruktur, beispielsweise Heizungen oder Verkehr, uns nicht mehr erlaubt, die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Es braucht also einen sofortigen Stopp», sagt er am Wochenende in einem Interview des Tages-Anzeigers. 

 

Auf der anderen Seite steht die SVP, die dieser Tage ihre Delegiertenversammlung abgehalten hat. Präsident Marco Chiesa hat seine Partei auf den Kampf gegen das Klimaschutzgesetz eingeschworen. Schon der Titel sei «der Gipfel der Frechheit». Das de facto Verbot von fossilen Energieträgern und deren Ersatz mit Strom, mache es zum «Gesetz für Stromverschwendung». Dann zaubert er flugs irgendwelche Zahlen aus dem Hut, die jeder Stimmbürgerin Hautausschläge verursachen und trompetet: «Wir müssen diesem Wahnsinn der rosa-grünen Linken ein Ende setzen und dieses verlogene und teure Gesetz versenken.» Bei diesem Gesetz geht es um den Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative nota bene.

 

Energieminister Rösti, ebenfalls SVP, befand sich in der wohl für ihn eher unangenehmen Lage das Gesetz verteidigen zu müssen und setzte dem Zahlenzauber entgegen, dass es «weder Verbote noch neue Steuern und Abgaben» vorsehe. Er unterlag an der DV mit 115 zu 0 Stimmen.

 

Das ist in etwa die Bandbreite, in der auch im Parlament um Kompromisse gerungen wird. Die Solaroffensive sah grosse alpine Solarkraftwerke vor, der Bund sollte bis zu 60 Prozent der Investitionskosten übernehmen – unter dem Motto: Der Schnäller isch der Gschwinder. Denn es gibt nur Geld, wenn die Anlagen bis 2025 am Netz sind. Schlechte Voraussetzungen also für gut überlegte und sorgfältig ausgeführte Projekte. 

 

Selbst nach Abschluss der Parlamentsdebatte stehen die konkreten Bedingungen noch nicht fest. Das Bundesamt für Energie wird die Preisszenarien erst in anderthalb Monaten bekanntgeben. Zudem werden jetzt doch Umweltverträglichkeitsprüfungen und Baubewilligungen verlangt. Ob das reicht, wenn da und dort ganz sicher Einsprachen erhoben werden?

 

Rund ein Dutzend Projekte sind bekannt, welche wirklich realisiert werden, bleibt offen. Denn es gibt noch weitere Hürden: Der Ständerat hatte vorgesehen, alpine Solarprojekte auch nach 2025 zu fördern, der Nationalrat hat sich dagegen entschieden. Die Einigungskonferenz wird hier Klarheit schaffen müssen. 

 

Das wohl bekannteste Alpinprojekt, Grengiols Solar, ist jedenfalls schon ziemlich geschrumpft. Letzte Woche informierten Gemeinde und involvierte Energieunternehmen über ihr Vorhaben. Aus den ursprünglich angesagten fünf Quadratkilometern (700 Fussballfelder) sind 3,4 geworden. Von den maximal zwei Terawattstunden sind 600 Gigawattstunden geblieben – weniger als ein Drittel also. Wie viel das Ganze kosten soll, blieb offen. Offen blieb auch, ob der Strom überhaupt abtransportiert werden kann. Denn eine ETH-Studie zeigte, dass die dafür notwendigen Hochspannungsleitungen frühestens 2028 bereitstünden. Um vom Solar-Express zu profitieren, müssten jedoch nur zehn Prozent der Gesamtleistung am Netz sein.

 

Und dann ist da noch die Umwelt, die trotz des Express doch auch noch ein bisschen berücksichtigt werden soll. Für Grengiols soll die Prüfung, wie das Bauprojekt, bis Ende Jahr vorliegen. An der Informationsveranstaltung  jedenfalls war die Skepsis eher sehr gross. Moritz Clausen ist Geschäftsleiter des Landschaftsparks Binntal, einem «Park von nationaler Bedeutung». Das Saflischtal liegt da mittendrin. Er hat sich mit dem Bundesamt für Umwelt ausgetauscht und sagt: «Das Label ist akut gefährdet.»

 

Vielleicht führen alle diese Debatten und Diskussionen und Solar-Expresse mit Nothalten dazu, dass die Vernunft doch noch obsiegt, und erst einmal die bestehende Infrastruktur solar hochgerüstet wird, bevor man in unbebaute Landschaften vordringt.

Christa Dettwiler