Die Wellen schlagen hoch, die Stimmung ist gereizt, plötzlich geraten sich Leute in die Haare, die vorher an einem Strick zogen. Das Thema alpine Solaranlagen reizt offenbar zu Aussagen, die der eine oder die andere irgendwann einmal bereuen könnten. Einst war er der Ursozialdemokrat, der mit der «Roten Anneliese» den Walliser Polit- und Wirtschaftsfilz gnadenlos auseinandernahm, dann wandelte er sich zum Unternehmer im Hotelbusiness, jetzt hetzt Peter Bodenmann in der Weltwoche gegen die Grünen, die in Sachen alpine Solaranlagen auf demokratische Spielregeln pochen.
Die Walliser Grünen sahen sich genötigt, das Referendum gegen ein Dekret des Kantonsparlaments zu ergreifen, das das Projekt «Grengiols Solar» gnadenlos durchpeitschen will. Um einen Beitrag zum Winterstrom zu leisten, soll das abgelegene und unberührte Saflischtal mit fünf Quadratkilometern Solarpanels eingedeckt werden. Und das, ohne Einsprachemöglickeiten etwa von Landschaftsschützerinnen. Deshalb wettert der «Vater» der Lex Alpinsolar Bodenmann in seiner Weltwoche-Kolumne, die Grünen spielten ein «durchsichtiges Doppelspiel», in Bern würden sie charmieren, im Alpenraum torpedieren.
Dabei ist die Lex Alpinsolar alles andere als eine demokratische Angelegenheit, denn sie verletzt den Grundsatz der Gewaltenteilung. Und was im Wallis durchgeboxt werden soll, wirft noch weitere Fragen auf. Das Dekret sieht nicht einmal Kriterien für eine Standortwahl vor. Auf das Anliegen der Grünen, auf Solaranlagen in schützenswerten Landschaften von besonderer Schönheit zu verzichten oder Projekten in der Nähe bestehender Infrastruktur – von der es ja im Wallis in Form von Bahn-, Lift-, Hotelleriegebäuden oder Lawinenverbauungen mehr als ausreichend gibt – den Vorzug zu geben, ging das Kantonsparlament gar nicht erst ein.
Im letzten Oktober hat die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) eine repräsentative Umfrage bei der Bevölkerung durchgeführt. Fazit: Anlagen für erneuerbare Energien in nahezu oder ganz unberührten Alpenlandschaften sind ganz klar unerwünscht. Daran hat die angedrohte Energiemangellage nichts geändert. Ein weiterer «Vater» der solaren Alpenexpansion, FDP-Ständerat Ruedi Noser, zweifelte sogleich die Objektivität der Umfrage an und meinte: «Man kann die Fragen immer so wählen, dass man die passende Antwort erhält.»
Die Meinungen sind allerdings auch innerhalb der FDP geteilt. So lehnt FDP-Nationalrat Kurt Fluri das Solarexpress-Gesetz rundweg ab. Er meint, das Parlament habe sich als Planungs- und Baubehörde aufgespielt und dabei prompt danebengegriffen. «Rücksichtslose Projekte wie Gengiols oder Gondosolar sollten nicht gebaut werden.» Vielleicht hat seine klare Meinung damit zu tun, dass er die Stiftung Landschaftsschutz präsidiert. Ganz anders steht die befragte Bevölkerung übrigens zu Solaranlagen in Alpenlandschaften mit touristischer Prägung. Solche befürwortet eine klare Mehrheit.
Die «dringlichen Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter», die das Parlament in der Herbstsession in absolut unhelvetischem Tempo beschlossen hat, werden noch eine Weile zu reden geben. Es ist nicht redlich, wenn jene, die die alpine Expansion um jeden Preis vorantreiben wollen, jenen, die zur Vor- und Rücksicht mahnen, Unredlichkeit vorwerfen und sie als Bremserinnen oder Verhinderer verunglimpfen.
Die Schweizerische Energiestiftung SES etwa warnt davor, dass in den Verordnungen des Parlaments die Kosten und der Erschliessungsaufwand vollumfänglich fehlen. Sie werden als Kriterien gar nicht berücksichtigt. «Eine finanzielle Förderung ohne jegliche Qualitätskriterien wäre eine beispiellose potenzielle Geldverschwendung», schrieb die SES in ihrer Medienmitteilung. Die SES pocht ebenfalls darauf, dass Anlagen im Mittelland und auf bereits bestehender Infrastruktur der Vorzug gegeben wird. Denn: «Einerseits stören die Anlagen dort am wenigsten, wo es möglichst wenig neue Strassen, Seilbahnen, Stützmauern und Stromleitungen braucht. Und andererseits fallen bei solchen Anlagen tendenziell weniger hohe Erschliessungskosten an.»
Dass die Grünen im Wallis das Referendum ergreifen, ist gut so. Die Bevölkerung soll sich zu solch schwerwiegenden Entscheidungen äussern können. Dass Bodenmann sie nun als Atomfreude verunglimpft und die Verluste bei den Wahlen in den Kantonen Zürich und Baselland in Zusammenhang bringt mit ihrem Beharren auf demokratischen Spielregeln, lässt selbst den Sonnenkönig des Wallis alt aussehen. Mal sehen, was er zum Antrag der Grünen meint, den sie letzte Woche in der Umweltkommission des Nationalrates eingereicht haben. Sie fordern darin, dass die Schweizer AKW mit einem fixen Ablaufdatum belegt werden: 2032 Gösgen, 2027 Beznau I und II, Leibstadt 2037.
Mitte März wird im Schweizer Parlament das «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» beraten. Der Ausbau soll massiv ausfallen: auf mindestens 35 Terawattstunden pro Jahr bis 2035, Wasserkraft nicht eingerechnet. Die bürgerliche Seite tendiert zu wenigen grossen Akteuren und einem zentralen Strommarkt. Die Linken zu kleiner und dezentral auf bereits verbauten Flächen. Solarfachleute sind überzeugt, dass auch im Mittelland viel Winterstrom mit der Sonne produziert werden kann. Das Bundesamt für Energie schätzt das Potenzial auf 67 Terawattstunden pro Jahr. Zum Vergleich: Der jährliche Stromverbrauch in der Schweiz bewegt sich um die 60 Terawattstunden. Zudem muss zwingend vermehrt auf Energieeffizienz gesetzt werden. Ein Thema, das das Parlament bislang elegant umdribbelt hat.
Wie die künftige Stromversorgung der Schweiz gestaltet werden wird, wird noch viel zu reden geben. Dass die allseits beschworene Strommangellage in diesem Winter nicht eingetreten ist, wird hoffentlich panische Schnellschüsse verhindern und dem gesunden Menschenverstand wieder mehr Raum geben.
Christa Dettwiler