Anstatt mit Resignation begegnen Menschen in Wales und in Neapel den unaufhaltsamen Krisen mit Erfindergeist, Durchsetzungsvermögen und innovativen Ideen. Während in der Schweiz undurchsichtige Stiftungen alles unternehmen, um mit viel Geld veralteten Technologien zu erneutem Aufschwung zu verhelfen, gehen ein neues College und ein 11-jähriger Junge die aktuellen Probleme mit offenen Augen an und dem Willen, auch aus veränderten Lebensbedingungen das Beste zu machen.
Im neusten Institut für höheres Lernen in Britannien finden die Vorlesungen in einem ehemaligen Kuhstall statt. Das Studienzentrum ist in einem ehemaligen Bauernhaus beheimatet, die Klassenzimmer befinden sich mehrheitlich in freier Natur. Am Black Mountain College in Wales lernen junge Menschen wie man angesichts globaler Krisen gut leben kann. Die Ausbildung bereitet Jugendliche auf eine Karriere in Zeiten der Klimakrise vor und vermittelt ihnen wissen, Ideen und die nötigen Werkzeuge, um dieser Krise zu begegnen. Innerhalb von drei Jahren können sie einen Abschluss in nachhaltiger Zukunft erlangen mit einem Rucksack voll Wissen über die aktuellste Klimawissenschaft, über Neurowissenschaft, Umweltgeschichte und kritisches Denken.
Die Gründer des Colleges sind überzeugt, dass die studierenden keine Schwierigkeiten haben werden, Arbeit zu finden: «Jede Organisation wird unbedingt Leute mit Klimabildung anstellen wollen. Die Nachfrage wird explodieren.» Auch die Universität Barcelona hat kürzlich den Wunsch von studierenden Aktivistinnen erfüllt und einen Pflichtkurs über die Klimakrise eingeführt. Die Klimaveränderung sei nicht nur ein wissenschaftliches Problem, «sie ist ein Problem des Bewusstseins, der Werte, der Versorgungsketten und wie man die Welt anschaut», meinen die College-Gründer.
Eine überaus inspirierende Geschichte hat die NZZ am Sonntag erzählt. Sie spielt in einem Armenviertel Neapels, die Hauptperson ist ein Elfjähriger, der es geschafft hat, die erste solidarische Energiegemeinschaft Italiens ins Leben zu rufen. Gennaro Dragone ist Mittelschüler. Er mag Mathe und Umweltkunde. Gemeinsam mit Gleichaltrigen hat er es geschafft, die Nachbarschaft davon zu überzeugen, zusammen Strom zu erzeugen und zu nutzen. «In Neapel scheint doch ständig die Sonne», meint der aufgeweckte Junge. 166 Solarmodule mit einer Leistung von 53 Kilowatt und einem Speichermodul mit einer Kapazität von zehn Kilowattstunden versorgen das Quartier heute mit günstigem Solarstrom. Rund 65’000 Kilowattstunden Strom liefert die Sonne in eine der ärmsten und problembeladensten Gegenden Neapels.
Das Gebäude, auf dem das Sonnenkraftwerk seine Arbeit verrichtet, gehört einer Stiftung, die sich um Kinder und ihre Mütter kümmert. Maria Imparato ist Präsidentin der Umweltschutzorganisation Legambiente Kampanien: «Wir wollten die erste Energiegemeinschaft Italiens in einer Umgebung gründen, in der sie neben einer ökologischen auch einen sozialen Nutzen hat.» Ein Sponsor stellte das nötige Kapital zur Verfügung. Das geeignete Dach fand Imparato bei der Stiftung, die sie von Aufräumarbeiten am Strand und in Parks kannte – Gennaro stets an vorderster Stelle mit dabei. Als er lernte, dass man aus Sonnenstrahlen Strom produzieren kann, bei dem kein CO2 anfällt, war er verblüfft. Es sei wie ein Wald, den man im Viertel pflanze.
Die Quartierbewohnerinnen vom Kraftwerk auf dem Hausdach zu überzeugen, war dann nicht so einfach. Sie konnten sich schlicht nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Über den Stromverbrauch machte man sich erst Gedanken, als die Strompreise in die Höhe schnellten. Deshalb setzte Imparato bei ihrer Überzeugungsarbeit auf das Argument Geld: «Im Projekt geht es auch darum, die Art und Weise, wie die Menschen Energie verbrauchen, zu reflektieren.»
Gennaro Dragone wurde im Dezember 2021 von Staatspräsident Sergio Mattarella für seine «Hartnäckigkeit und das bürgerliche Engagement, mit dem er sich für das Projekt der Energie- und Solidaritätsgemeinschaft in Ostneapel einsetzt» geehrt und dafür, dass er «trotz seines jungen Alters ein Motivator ist, dem Erwachsene zuhören». Persönlich ist der «Fahnenträger der Republik», der Architekt werden und viele Solargemeinschaften gründen will, durchaus auch bereit, Opfer zu bringen: nachts im Kinderzimmer den Fernseher auszuschalten.
Christa Dettwiler