Phantasie in der Energiepolitik

Bild: Ansgar Scheffel auf Unsplash
Bild: Ansgar Scheffel auf Unsplash

Irgendwie ist diese Meldung in den grossen Schweizer Medien durchgerutscht. Letzte Woche hat der Bundesrat an seiner Sitzung doch tatsächlich «einen Bericht in Erfüllung der Motionen Français und Jauslin verabschiedet». Die Motionen aus dem Jahr 2019 fordern einen Investitionsplan, um bis 2034 alle geeigneten Dach- und Fassadenflächen der Bundesverwaltung mit Photovoltaik-Anlagen auszurüsten. Damit soll beim Bund der Anteil der aus der Sonne gewonnenen Energie mehr als versechsfacht werden. 

Das ist doch immerhin etwas – auch wenn es noch ein Dutzend Jahre dauert, bis dieser Strom dann auch vollumfänglich fliesst. Und was bis dahin in der Energiepolitik passiert, wissen wir nicht. Sie ist aktuell derart volatil, dass jegliche Zukunftsprognosen so verlässlich sind wie Kristallkugel-Gucken.

 

Halten wir uns also an die Fakten. Zum Beispiel jene, die belegen, dass die Schweiz mehr als genügend freie Flächen anzubieten hat, um die ganze Nation mit Energie aus der Sonne zu versorgen. Das technische Potenzial ist da: Mit PV bestückte Hausdächer, Fassaden, Lärmschutzwände, Parkplätze, Bahndämme, Lawinenverbauungen könnten theoretisch 76 bis 78 Terawattstunden Strom liefern. Mehr als ausreichend für ein Land, das gegen jährlich so um die 60 verbraucht. Rechnet man mögliche alpine Anlagen und Agro-PV noch hinzu, kumuliert sich das Potenzial auf unglaubliche 137 TWh.

 

Diese Zahlen hat Christof Bucher, Professor für Photovoltaik-Systeme an der Berner Fachhochschule (BFH) zusammengetragen. Aber eben, Potenzial ist noch längst kein fliessender Strom. Da wäre etwa das Problem mit dem Solarstrom im Winter. Es fehlen, laut Bucher, auch bei optimistischsten Prognosen um die 10 TWh. 

 

Doch der Forscher nimmt das nicht einfach hin. Die Schweiz könnte, schlägt der Leiter des PV-Labors an der BFH vor, im Sommer komplett auf fossile Energieträger verzichten und mit dem Solarstromüberschuss gratis Elektroautos laden, vorhandene Erdsonden könnten den Überfluss als Wärme in der Erde speichern. Zudem müssten die Speicherseen im Sommer dank flächendeckender Photovoltaik kaum angezapft werden. «Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, was man im Sommer alles machen könnte, wenn der Strom gratis zur Verfügung steht», sagt er zur «Sonntagszeitung».

 

Und Phantasie werden wir brauchen, wenn wir die aktuellen Probleme lösen und die Energieversorgung auf umweltverträglich umstellen wollen. Vom Parlament ist eher wenig zu erwarten. Seine Lösungsansätze sind weder phantasievoll, zukunftsgerichtet noch innovativ. Fossiles und Atomares soll es richten. Klimaschutz wird von «Sachzwängen» verdrängt. Man sägt einfach weiter an dem Ast, auf dem man sitzt und behauptet vollen Ernstes, das bisschen Weitersägen würde der Ast schon noch aushalten. 

 

Der SVP-Bundesrat Guy Parmelin wäre sogar bereit gewesen, die heiligste Kuh der Bürgerlichen eiskalt unter den Zug zu treten: die freie Marktwirtschaft. In einer wahren Parmeliade hat er vorgeschlagen, die auf den freien Energiemarkt entlassenen Grossverbraucher doch wieder unter den Rock der Grundversorgung zurückschlüpfen zu lassen, weil die Strompreise am freien Markt schier unerschwinglich geworden sind. Dass diese Rückkehr für Kleinverbraucher:innen zu steigenden Preisen führt, schien den phantastischen Bundesrat nicht gross zu erschüttern. Und so verwundert es denn auch keineswegs, dass die SVP 2019 auch als einzige Partie geschlossen gegen die Motionen Français und Jauslin zur flächendeckenden solaren Aufrüstung der Bundesimmobilien gestimmt hat. 

 

Darum zum Schluss nochmals die Good-News. In der Medienmitteilung vom 26. Oktober lesen wir: «Indem der Bundesrat den Bericht zu den beiden Motionen gutheisst, beauftragt er BLO sowie das ASTRA, die aufgezeigten Potenziale bis 2034 umzusetzen. Gemäss aktueller Prognose würde dies einem Ausbau der durch Photovoltaik gewonnenen Energie von 13 auf 87 Gigawattstunden entsprechen und damit mehr als das Sechsfache bedeuten. Die Aufwände für die Installationen werden auf 143,4 Millionen Franken geschätzt. Die BLO und das ASTRA bauen auf ihren Internetseiten je einen Photovoltaik-Monitor auf und dokumentieren regelmässig den Ausbaustand.» Wir sind gespannt. 

Christa Dettwiler