Ausser Rand und Band

Bild: Grégoire Bertaud  I Unsplash
Bild: Grégoire Bertaud I Unsplash

Was in den letzten Tagen und Wochen im Schweizer Parlament energietechnisch verhandelt und beschlossen worden ist, lässt manch eine trümmlig zurück. Es scheint, als hätte ein Teil der vom Volk Gewählten alle Hemmungen abgelegt und grosse Lust daran entwickelt, endlich einmal so richtig die Sau rauszulassen, während ein anderer Teil damit beschäftigt ist, an den fetten Kröten, die es zu schlucken gilt, nicht zu ersticken. 

Beginnen wir bei der Gletscher-Initiative. Der Gegenvorschlag ist behandelt und derart ausgestaltet, dass die Initiative wohl zurückgezogen werden wird. Netto-Null- bis 2050, fixe Absenkziele und zwei Milliarden Franken Fördergelder für den Umstieg von Elektro- und fossilen Heizungen. So weit so vernünftig. Nur: Die SVP hat angekündigt, das Referendum zu ergreifen. 

 

Es sei ein «verantwortungsloses Paket», moniert Fraktionspräsident Thomas Aeschi. Er fürchtet «den gleichen Fehler wie beim Ausstieg aus der Kernenergie», denn der Gegenvorschlag käme einem Ausstieg aus den fossilen Energien gleich. Zudem befände sich der Bund seit Corona finanziell «in Schieflage», doppelt SVP-Nationalrat Christian Imark nach. Da seien die zwei Milliarden nicht zu verantworten.

 

Die Partei, die mit ihrem Referendum das CO2-Gesetz gebodigt hat, wittert offenbar eine neue Chance, eine griffige Klimapolitik an der Urne auszuhebeln. 

 

Kein Referendum gibt es von rechtsbürgerlicher Seite gegen die Solar-Offensive. Mit grossem Getöse wurde das neue Gesetz für den Bau alpiner Grosssolarkraftwerke, die «Lex Grengiols», in den letzten Wochen durchs Parlament gepaukt. Dabei wurden alle Hemmungen fallengelassen. Der Nationalrat hat zwar die wüstesten Auswüchse – etwa das vollständige Ausblenden von Natur- und Landschaftsschutz – etwas korrigiert, dennoch dürfte diese Kröte etlichen Parlamentarierinnen im Hals stecken geblieben sein.

 

Eine Umweltverträglichkeitsprüfung muss immerhin vorgelegt werden. Und der Vorrang der Versorgungssicherheit muss nur noch «grundsätzlich» und nicht mehr «absolut» überwiegen. Dafür gilt die Solarpflicht für Neubauten nur noch für Flächen von mehr als 300 m2. Damit fallen etwa 70 Prozent der Gebäude schon einmal weg. 

 

Im «Tagesa-Anzeiger» äusserte sich Rechtsprofessor und Umweltrechtsexperte Alain Griffel auch zur «Lex Grengiols». Er spricht von einem «Putsch» gegen Umweltrecht und Verfassung. Auch die korrigierte Version hält er für verfassungswidrig und unterstellt dem Parlament «Allmachtsfantasien». Am Beispiel der alpinen Solaranlagen zeigt er die Widersprüche der eben gefassten Beschlüsse auf: Das Gesetz sehe vor, dass solche Bauten allen anderen Interessen «grundsätzlich vorgeht». Der Natur- und Heimatschutz-Artikel in der Verfassung verlange bei Landschaftsschutzobjekten von nationaler Bedeutung aber die «ungeschmälerte Erhaltung» oder die «grösstmögliche Schonung». Das Parlament könne nicht einfach ein Anliegen als generell übergeordnet bezeichnen. Das könne nur die Verfassung selbst.

 

Griffel verweist auch darauf, dass das Gesetz gar nicht dafür tauge, eine allfällige Strommangellage in diesem Winter abzuwenden. «Denn die Kraftwerke, die das Gesetz ermöglichen soll, gehen frühestens in ein paar Jahren ans Netz.» Noch länger dauert es bei der noch so nebenbei reingeschmuggelten Erhöhung der Grimsel-Staumauer. «Aber ohne gut begründete Dinglichkeit sehe ich hier einen weiteren Verfassungsbruch.» Deshalb müssten Volk und Stände darüber entscheiden können.

 

Während im Parlament also so richtig geholzt und geklotzt wird, baut im Baselbieter Kantonshauptort Liestal die SBB den Bahnhof um. Neue Perrondächer in einer Länge von mehreren hundert Meter werden installiert – wunderbar gegen Süden stark sonnenexponiert. Jeannine Egi, SBB-Sprecherin, sagte auf Nachfrage von «Onlinereports», aktuell seien dort keine Solarpanels vorgesehen. Grund: Dieses Projekt sei geplant worden, als Solarpanels bei den SBB noch kein standardmässiges Ziel für Neubauten war.

 

Nun ja, der Zug ist noch nicht ganz abgefahren. Die SBB werde immerhin prüfen, ob und wann eine Nachrüstung vorgenommen werden soll. Im Gegensatz zum Schweizer Parlament, das Kraftwerke mitten in unberührte Natur pflanzen will, hält sich die SBB ans Baselbieter Lied:

Me sait vom Baselbieter,

Und red’t-im öppe no

Er säg blos, «Mir wei luege...»

Er chönn nid säge: «Jo».

Christa Dettwiler