Die Alpen werden grün, Schneedecken schwinden, Gletscher lösen sich auf. Nicht nur in der Schweiz grünt’s in hoher Höhe. Auch die Arktis und Zentralasien erwärmen sich überdurchschnittlich schnell. Sonnenlicht wird immer weniger reflektiert, die Erde heizt sich noch schneller auf. Da nützen auch die Vliese auf dem Rhonegletscher nicht mehr viel. Wie gut, dass das Parlament dieser Tage über der Gletscher-Initiative gebrütet hat.
Am letzten Mittwoch hat der Nationalrat deutlich seine Unterstützung für den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative ausgesprochen. Sehr zum Ärger der SVP, die das höchst «undemokratisch» fand.
Frühere Lesende erinnern sich: Eingereicht wurde die Initiative im November 2019. Was ist vom ursprünglichen Inhalt geblieben? Genug, um das Initiativ-Komitee davon zu überzeugen, sein Vorhaben eventuell zugunsten des Gegenvorschlags zurückzuziehen – sofern der Ständerat, der ihn diese Woche verhandelt, nicht weitere Verwässerungen beschliesst.
Das Verbot fossiler Energien ab 2050 ist bereits unter den Tisch gefallen. Allerdings dürfen sie nur weiter eingesetzt werden, wenn «keine anderen technischen Möglichkeiten» bestehen. Und bekanntlich bestehen diese schon seit Jahrzehnten. Dennoch sind Initiantinnen und Unterstützer halbwegs zufrieden.
Der Gegenvorschlag bestätigt das Netto-Null-Ziel bis 2050 und definiert Zwischenziele für einzelne Sektoren sowie für die öffentliche Hand. Die soll Treibhausgasemissionen schon zehn Jahre früher kappen. Damit das gelingt, ist etwa finanzielle Unterstützung für den vorzeitigen Ersatz von fossilen Heizungen vorgesehen. Auch Unternehmen, die ihre Emissionen freiwillig und frühzeitig drosseln, sollen belohnt werden.
Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) mahnt jedoch deutlich ambitioniertere Ziele an und verweist gleichzeitig darauf, dass es mit Zielen allein nicht gemacht ist. SES-Geschäftsleiter Nils Epprecht: «Die Ziele sind wichtig, doch reduziert werden die Emissionen schliesslich über Massnahmen.»
Auch der ETH-Professor für Klimapolitik, Anthony Pratt, ist einigermassen zufrieden mit dem Gegenvorschlag. In einem Interview mit der Online-Plattform watson bedauert auch er, dass das klare Verbot fossiler Brennstoffen gestrichen wurde.
Er betont ebenfalls, wie wichtig die einzelnen Schritte zum Ziel seien und verweist darauf, dass man eben nicht in die Zukunft schauen könne. Obwohl man heute noch nicht sagen könne, welche Massnahmen 2040 die richtigen seien, müssten die Weichen jetzt gestellt werden. Etwa mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge oder dem raschen Ausbau von erneuerbaren Energien.
Der Gegenvorschlag sieht vor, dass jede Branche in den nächsten Jahren einen vollständigen Dekarbonisierungsplan entwickeln muss. Der politische Rahmen dafür müsse in den nächsten Jahren entsprechend angepasst werden.
Dabei sieht Anthony Pratt die Schweiz ganz besonders in der Pflicht. Ihr komme, dank ihres Wohlstandes, eine Vorreiterrolle ein: «Wir haben nicht nur den Reichtum, um die Kosten für allfällige Fehler aufzufangen, sondern verfügen auch über die technischen Kapazitäten, um aus diesen Fehlern zu lernen. Von diesen Erfahrungen können dann weniger wohlhabende Länder profitieren.»
Ganz anderer Meinung ist da die SVP. In der Sendung Arena im Schweizer Fernsehen meinte SVP-Nationalrat Michael Graber, der Klimawandel finde global statt. Es sei deshalb naiv, Vorschriften aufzustellen, die die hiesige Bevölkerung viel kosteten, das Klima aber nicht retten könnten.
Also, Hände in den Schoss, zuschauen, wie im alpinen Gebiet die Palmen spriessen und den Schweizerpsalm, den die SVP doch ganz besonders liebt, umdichten? Denn der Alpenfirn wird sich bald nicht mehr röten, sondern grünen. Da hilft dann auch alles Beten nix mehr.
Christa Dettwiler