Der Fünfer und das Weggli

Bild: Anton Matyukha
Bild: Anton Matyukha

Wenn es noch einen Beweis für die Interpretationsfähigkeit von Umfragen gebraucht hätte, dann liegt er jetzt unzweifelhaft vor. Das GFS-Institut publizierte am 31. Mai eine grosse Befragung der Schweizer Bevölkerung zur Energiepolitik. Die Titelzeilen der verschiedenen Medien dazu könnten unterschiedlicher nicht ausfallen: Der Blick betonte, dass die Schweiz weg will vom Putin-Öl und auf Erneuerbare setzt. SRF hob die «Stromsicherheit um jeden Preis» hervor. Und die NZZ titelte: «Energiewende: Mehrheit der Bevölkerung ist laut Umfrage für deutliche Abstriche beim Umweltschutz und schlankere Verfahren.»

Alle drei Aussagen sind in sich korrekt. Dennoch zeigen sie auf einen Blick, wie jeder sich aus der repräsentativen Umfrage bei über 1'000 Personen, die der VSE beim Meinungsforschungsinstitut GFS in Auftrag gegeben hat, die passenden Rosinen herauspicken kann. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE wollte im Rahmen mit ihrer Umfrage den Puls an der Basis fühlen und dabei insbesondere die Zielkonflikte zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz ausleuchten.

 

Nun ist bei einer derart grossen Umfrage nicht nur die Fragestellung relevant, auch der Zeitpunkt spielt eine entscheidende Rolle. Dass die Stromversorgungsthematik mit dem Krieg in der Ukraine neue Dringlichkeit erhalten hat, liegt auf der Hand. Und diese Dringlichkeit hat auch die Antworten geprägt. 

 

Es überrascht nicht, dass die Versorgungssicherheit aktuell an erster Stelle steht bei den Befragten. 53 Prozent geben sie als oberste Priorität an. Dass der Strom klimaneutral produziert werden muss, findet dagegen nur gerade ein Viertel am wichtigsten. Und dann folgt der grosse Widerspruch: 67 Prozent der Befragten sind bereit, deutliche Abstriche beim Umweltschutz zu akzeptieren, um die inländische Produktion aus erneuerbaren Energien zu steigern. Andererseits erwarten 59 Prozent einen «haushälterischen Umgang» mit unverbauten Flächen. 

 

Zeugen diese Resultate von einer klassischen Fünfer und Weggli-Mentalität? Einerseits sollen laut Volksmeinung Einsprachemöglichkeiten eingeschränkt, andererseits die noch nicht überbauten Flächen geschützt werden. Dann wären wir wieder beim Augenmass. Dass dieses je nach Perspektive ganz unterschiedlich sein und zu langwierigen und gehässigen Auseinandersetzungen führen kann, ist gerade bei Windkraftwerksplänen an der Tagesordnung.

 

Eines hat die Umfrage klar und deutlich gezeigt: Für eine sichere Stromversorgung ist die Schweizer Bevölkerung bereit, Zugeständnisse zu machen – einerseits höhere Kosten, andererseits Einschränkungen beim Klima- und Umweltschutz in Kauf zu nehmen. Keine Unklarheiten gibt’s, woher der Strom für die Schweiz stammen soll: Praktisch alle der Befragten (97%) wünschen sich eine Förderung von erneuerbaren Energien im Inland. Als relevante Energietechnologien erachten ebenfalls fast 100 Prozent die Wasserkraft und die Photovoltaik.

 

Für letztere hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga letzte Woche eine Hürde aus dem Weg geräumt. Die vom Bundesrat verabschiedete Revision der Raumplanungsverordnung macht den Weg frei für Sonnenkraftwerke ausserhalb der Bauzone sowie auf bestehender Infrastruktur wie Lärmschutzwänden, Autobahn- oder Gleisböschungen. Und wenn bereits Überbautes für die Produktion von mehr Solarstrom genutzt werden kann, bleibt der spärliche Freiraum erhalten. Ganz wie es sich die Bevölkerung wünscht.

Christa Dettwiler