1 Schritt vorwärts, 2,3 zurück ...

Bild: Henrique Sá auf Unsplash
Bild: Henrique Sá auf Unsplash

Alle die schönen Klimapläne, die Regierungen rund um die Welt wie am Fliessband produzieren, wollen die Erderwärmung auf 1,5 Grad maximal begrenzen – bis irgendwann im Jahr 2040 oder -50 oder so. Nun grätscht die Weltwetterorganisation (WMO) in Genf brutal dazwischen und warnt, dass diese Limite bereits nächstes Jahr fallen könnte. Die Chancen stehen fifty-fifty, dass die globale Temperatur zwischen 2020 und 2026 in mindestens einem Kalenderjahr über die Schmerzgrenze von 1,5 Grad steigen wird.

«Die Zahl von 1,5 Grad ist keine zufällige Statistik», sagt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. «Sie ist vielmehr ein Indikator für den Punkt, an dem die Klimaauswirkungen für die Menschen und den gesamten Planeten zunehmend schädlich werden.» Vorläufig hält das Jahr 2016 den Rekord mit etwa 1,2 Grad plus, und dieser Rekord dürfte mit 93-prozentiger Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten fünf Jahr fallen. 

 

Was das bedeutet, erfahren Menschen in Indien zurzeit am eigenen Leib. Die extremen Hitzewellen dürften noch zunehmen, warnt die WMO. Auch Südwesteuropa und der Südwesten Nordamerikas werden heuer noch mehr austrocknen. Nordeuropa, die Sahel-Zone, Nordostbrasilien und Australien müssen sich dagegen auf mehr Starkregen einstellen. Extremwetter wird zum neuen Normal.

 

Nun wird ja nicht nur bergeweise Papier produziert, am Klimagipfel in Glasgow wurden auch verbindliche Massnahmen formuliert, um die Erderwärmung einzudämmen. Etliche der hehren Ziele – etwa rasch möglichst von Kohle und anderen fossilen Energien wegzukommen – sind mittlerweile zu Kriegsopfern geworden. Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energie Agentur (IEA) will deshalb Kohle zu einem der Schwerpunkte der nächsten Klimakonferenz in Ägypten machen: «Das grösste Risiko ist der wachsende Appetit auf Investitionen in die Infrastruktur für Kohle. Wenn wir die nicht verlangsamen oder stoppen können, werden sie unsere Zukunft bestimmen.»

 

Weitere Opfer sind zu beklagen: Am Cop26, der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021, einigten sich China, die USA und Brasilien darauf, die weltweite Waldvernichtung zu stoppen. Seither hat die Abholzung im brasilianischen Amazonasgebiet neue Rekordwerte erreicht …

 

Auch die Umstellung auf Elektromobilität ist ins Stottern geraten. Pandemie und Krieg haben Lieferketten unterbrochen. Deshalb musste VW kürzlich bekannt gegeben, dass ihre E-Autos für den Rest des Jahres ausverkauft seien. 

 

Da trifft es sich gut, dass an Europas grösste Solarmesse, die vom 11. bis 13. Mai in München über die Bühne ging, Entwicklungen präsentiert wurden, die Hand und Fuss haben. Branchenexperten zufolge, braucht Europa eine Verdrei- oder Vervierfachung der Photovoltaik-Leistung, um die Klimaziele zu erreichen. Sie versprechen sich neuen Schub von der ersten Solarstrategie der EU, die im zweiten Quartal dieses Jahres veröffentlicht werden soll. Und dieser Schub ist auch dringend nötig. Laut Prognose des aktuellen «Global Market Outlook for Solar Power 2022-2026» ist Deutschland derzeit die Nummer eins beim Solarausbau in Europa. Dennoch wird’s nicht für eine Verdreifachung reichen. Bis 2026 erwartet der europäische Branchenverband, dass sich die in Deutschland installierte Solarstromleistung von 61 Gigawatt Ende 2021 auf rund 133 GW gut verdoppeln wird.

 

Die Schweiz steht vor derselben Herausforderung. Um die gesetzlich verankerten Klimaziele zu erreichen, muss die solare Kapazität auf 45 Terawattstunden steigen. Das bedingt einen jährlichen Zubau zwischen 1,1 und 2,5 Gigawatt. Da muten die aktuell rund 600 Megawatt fürs vergangene Jahr doch etwas gar bescheiden an. 

Christa Dettwiler