Der Stoff muss her – egal zu welchem Preis

Bild: Depositphotos
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Die Ideen spriessen grad wie das frisch Grün: Wärmeenergie aus den Schweizer Seen, Tempolimits, schwimmende Flüssiggasterminals, Fleischverzicht, Fracking für deutsches Erdgas... Alles, um sich aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien. Schliesslich finanzieren die Milliardenbeträge, die der russische Staat täglich einsackt, einen Krieg, massive Zerstörung von Infrastruktur und – das ist am entsetzlichsten – sind sie mitverantwortlich an Tausenden von getöteten Frauen, Kindern und Männern. Das Zetern und Zögern von Politik und Wirtschaft, den Russensaft einfach abzudrehen, ist beschämend.

Beschämend, aber auch verständlich, angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel unser Land am 12. April die einheimischen Ressourcen, um den eigenen Energiebedarf zu decken, bereits restlos aufgebraucht hat. Die restlichen achteinhalb Monate sind wir auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen. Erdölprodukte, Erdgas und Uran kommen von weit her und kosten im Durchschnitt zehn Milliarden Franken pro Jahr. Die Abhängigkeitsquote liegt bei etwas weniger als 30 Prozent. Diese Zahlen hat die Schweizerische Energiestiftung SES zusammengetragen.

 

Kein Wunder bleibt der Aufruf «Panels statt Panzer» aktuell wie eh und je. Auch wenn man sich über den immer noch viel zu langsamen Ausbau der Photovoltaik ärgern mag, gibt es ein paar Zahlen, die den Ärger etwas zu dämpfen vermögen. Weltweit ist die Leistung aller Solaranlagen im vergangenen Jahr um 23 Prozent angestiegen. Heraus sticht ausgerechnet Australien, das Land, das vor allem im grossen Stil Kohle fördert. Und plötzlich ist die Inselnation Solar-Weltmeister mit einem Anteil von 12 Prozent. Da sieht die Schweiz mit ihren mickrigen fünf Prozent alt aus. Der britische Think Tank Ember hat die weltweiten Zahlen in seiner dritten Global Electricity Review publiziert.

 

Der Report vermeldet zudem einen Meilenstein: Erstmals hat die globale Leistung aus der Sonne die 1 000 Terawattstunden-Grenze geknackt. Die Rekordmarke steht neu bei 1 023 TWh, dank eines weltweiten Zuwachses von 188 TWh. Auch der Anlagenbauer Juwi, früher stark im Windkraftanlagenbau, meldet einen Rekord: Das Sonnenkraftpark in der griechischen Stadt Kozani ist mit einer Kapazität von 204 Megawatt das grösste solar betriebene Kraftwerk in Europa, das doppelseitige Solarmodule einsetzt. Es liefert rund 320 Millionen Kilowattstunden, spart etwa 300 000 Tonnen CO2 ein und versorgt mehr als 75 000 griechische Haushalte.

 

Das ist ja alles überaus erfreulich und stimmt zuversichtlich. Wenn man dann aber feststellt, dass die Sonne weltweit gerade einmal für drei bis vier Prozent des Strombedarfs genutzt wird, lässt die Zuversicht doch etwas nach. Im Klartext, die Fotovoltaik liefert fünfmal weniger Strom als die Atomkraftwerke. 

 

Was die Zuversicht vollends bröckeln lässt, ist der Fakt, dass die Gesamtnachfrage nach Strom unerbittlich weiterwächst. Letztes Jahr um fünf Prozent, in der Schweiz um 4,3 Prozent. Auch die CO2-Emissionen sind 2021 deutlich gestiegen. Um rund sieben Prozent allein im Energiesektor. Und die Wachstumsrate bei Kohleenergie toppte in absoluten Energieeinheiten jene der Erneuerbaren. Gerade auch unser Nachbar Deutschland tut sich enorm schwer, was die Haltung der Politik aktuell schonungslos offenlegt. Die CO2-Emissionen sind letztes Jahr sogar noch stärker gestiegen als das Wirtschaftswachstum – um satte 4,5 Prozent. Das Land hat damit die grösste prozentuale Zunahme seit 1990 hingelegt. In diesem Zusammenhang erwähnte der Expertenrat für Klimafragen die Zunahme der Kohleverstromung. 

 

Die aktuelle Situation legt schonungslos offen, was jeder Drogenabhängige aus seinem Alltag kennt: Die Beschaffung des Stoffs hat oberste Priorität – ganz egal wer der Dealer ist. 

Christa Dettwiler