Zwischen Kyjiw und Kaiseraugst

Foto: Bonnie Kittle, Unsplash
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Ja, es gibt Sanktionen: Russland wird vom Eurovision Song Contest ausgeschlossen. Das Champions League Finale wird von St. Petersburg nach Paris verlegt. Der EV Zug reisst sich das Nord Stream-Sponsorenlogo von den Leibchen. Klar gibt es auch noch ein paar andere Sanktionen. Alles in allem wirken sie aber erschreckend hilf- und zahnlos. Aus aktuellem Anlass fasst dieser Blog einen Beitrag von Bill McKibben in der englischen Zeitung «The Guardian» zusammen, der am 26. Februar publiziert wurde – und schlägt den Bogen zu Kaiseraugst.

Es gibt Wege, um Putins Macht zu brechen. Einer drängt sich besonders auf: Verzicht auf Öl und Gas. Zwar geht es in diesem Krieg nicht um die Kontrolle von Öl- und Gasfeldern, aber Öl und Gas befeuern auch diesen Krieg. Die Staaten scheuen sich auch vor totaler Einmischung, weil wir alle von Öl und Gas abhängig sind. Russlands Wirtschaft steht auf wackligen Beinen. Sie steht und fällt mit den fossilen Energieträgern, die 60 Prozent der Exporte ausmachen und das Geld liefern, das die Kriegsmaschinerie befeuert.

 

Die Drohung, dem Westen den Gashahn abzudrehen, gehört zu Russlands Klassikern. Als sich Deutschland letzte Woche endlich dazu durchrang, das Projekt Nordstream 2 auf Eis zu legen, höhnte Putins Vorgänger Dmitri Medwedew: «Willkommen in der neuen Welt, in der Europäer bald 2 000 Euro für 1 000 Kubikmeter zahlen werden.» Im Klartext: Wenn sich der Preis für eine warme Stube verdoppelt, muss Europa klein beigeben.

 

Tatsächlich suchen die meisten Länder nach Sanktionsschlupflöchern, um ihre eigene Wirtschaft nicht zu gefährden. Dabei wäre jetzt der Moment, sich daran zu erinnern, dass Wissenschaft und Technologie Sonne- und Windkraft zu den günstigsten Energieträgern der Welt gemacht haben. Wir täten gut daran, uns voll darauf zu konzentrieren. Für den Klimaschutz und vor allem, weil es die Macht von Autokraten, Diktatoren und Rowdys zu brechen vermag.

 

Ein von erneuerbaren Energien angetriebenes Europa würde Putins Russland nicht finanzieren und hätte auch weniger Angst vor ihm. Es könnte Sanktionen verhängen, die Russland in die Knie zwingen würden. Es bräuchte nämlich ein echt teuflisches Genie, um die Sonne zu monopolisieren.

 

Aktuell nutzt Big Oil den Krieg gegen die Ukraine als Ausrede, um ihren Fussabdruck noch zu vergrössern. So wird das gestoppte Keystone XL-Pipeline Projekt wieder ins  Spiel gebracht, und das American Petroleum Institute rief dazu auf, mehr eigene Öl- und Gasvorkommen zu erschliessen. Das ist absurd. Wir werden wohl bis im Frühling Gaslieferungen aus Europa brauchen. Aber dieses Druckmittel muss bis zum nächsten Winter beseitigt werden. Wir müssen alles daran setzen, Europa zu dekarbonisieren, und dann die USA. 

 

Das müssen wir so oder so tun, wenn wir die Klimaerwärmung verlangsamen wollen. Das können wir schnell tun, wenn wir wollen: Riesige offshore Windfarmen wurden in Europa innerhalb von 18 Monaten gebaut – ohne Kriegsdruck.

Wir leiden heute mit – Menschen sterben, weil sie in einer Demokratie leben und ihr Geschick in den eigenen Händen halten wollen. Aber dieses Leiden sollte und kann echte Veränderungen bewirken. 

Christa Dettwiler

Bill McKibben ist ein US-amerikanischer Umweltaktivist und Autor. Er ist der Gründer von Third Act, einer Organisation von Menschen über 60, die sich für einen progressiven Wandel einsetzen.

PS: Und dann wäre da noch Kaiseraugst. 

Gemeindepräsidentin Françoise Moser war ziemlich baff, als sie aus den Medien erfuhr, ihre Gemeinde sei als Standort für ein Reserve-Gaskraftwerk auserwählt worden. Moser hat nämlich ganz andere Pläne für das Areal, auf dem nach denkwürdigem Kampf vor mehr als 30 Jahren kein Atomkraftwerk gebaut wurde. 

 

Nils Epprecht, Geschäftsleiter der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), richtet klare Worte ans Parlament, insbesondere an die Energiekommission des Ständerates, die zurzeit die Revision des Energie- und Stromversorgungsgesetzes berät: «Die Energieversorgung der Schweiz braucht weder Gas- noch Atomkraftwerke, das Potenzial der erneuerbaren Energien ist mehr als ausreichend. Doch bislang kochen wir die Energiewende in der Schweiz auf Sparflamme. Wenn wir keine Gaskraftwerke wollen, müssen wir jetzt Gas geben – aber bei den Erneuerbaren.» Dass die Schweiz überhaupt über Gaskraftwerke als Ultima Ratio reden müssten, sei eine Konsequenz der wenig ambitionierten Ausbauziele für erneuerbare Energien im aktuellen Energiegesetz. 

 

Übrigens: Die Schweiz deckt 13 bis 15 Prozent ihrer gesamten Energieversorgung mit Gasprodukten. Fast die Hälfte kommt aus Russland.