Grüner Strom auf Vorrat

Foto: EnregyyVault
Foto: EnregyyVault

Eines der ganz grossen Themen der künftigen, weitgehend fossilfreien Stromproduktion wird die Aufbewahrung des Stroms sein. Die Internationale Energieagentur IEA geht davon aus, dass die globalen Speicherkapazitäten innerhalb der nächsten fünf Jahre um 56 Prozent gesteigert werden können – auf mehr als 270 Gigawatt. Zwar werden die bekannten Lithium-Ionen-Batterien das Feld weiter dominieren, weil aber ihre Speicherkapazität in Stunden statt Tagen gemessen wird, sucht die Energieindustrie dringend nach Alternativen.

Die Option «Schwerkraft» ist in der Schweiz mit ihrer gut ausgebauten Wasserkraft bestens etabliert und bewährt. Das Prinzip ist einfach: Wenn der Markt mit erneuerbarem Strom geflutet wird, nutzt man ihn, um Wasser in ein höher gelegenes Reservoir zu pumpen. Bei Stromknappheit kann das Wasser in kürzester Zeit abgelassen werden. Allein durch die Schwerkraft erzeugt es über eine Turbine Strom, der das Netz versorgt.

 

Nun brüten Ingenieure über schnellere und billigere Pumpspeicher, die die traditionellen Grosswasserkraftwerke ergänzen könnten. Sie wollen etwa eine mineralreiche Flüssigkeit verwenden, die etwa die zweieinhalbfache Dichte von Wasser hat. So sollen Kraftwerke bei nur halbem Höhenunterschied die gleiche Menge Strom produzieren können.

 

Eine zweite Art der «mechanischen Energiespeicherung» sind elektrische Winden, die Tausende Tonnen schwere Gewichte etwa in einem stillgelegten Minenschacht hochziehen, wenn viel erneuerbarer Strom anfällt. Wird Strom gebraucht, werden die Gewichte Hunderte Meter abgelassen, um Energie zu erzeugen. 

 

Mit dieser Methode ist das Schweizer Start-up «Energy Vault» gut unterwegs. Es hat aus kostengünstigen Verbundsteinen zu je 35 Tonnen einen riesigen Turm gebaut. Ein zentral integrierter Spezialkran mit sechs Armen lagert diese Steine mit erneuerbarer Energie von oben nach unten um. Bei der Abwärtsbewegung wird gespeicherte Energie nahezu ohne Energieverlust wieder in Strom umgewandelt. In einem 120 Meter hohen Turm können rund 35 Megawattstunden gespeichert werden, genug um 2 000 bis 3 000 Wohnungen für acht Stunden zu versorgen. Kürzlich hat «Energy Vault» eine strategische Partnerschaft mit einem koreanischen Unternehmen bekanntgegeben, das 50 Millionen Dollar investieren will. Damit ist die Kasse des jungen Unternehmens mit rund 150 Millionen Dollar gut gefüllt.  

 

Der ganz grosse Boom wird grünem Wasserstoff vorausgesagt. Er wird nicht nur fossile Brennstoffe in Kraftwerken, Fabriken oder Schwertransporten ersetzen, sondern kann auch als Speicher eingesetzt werden. Anstatt Wind- und Sonnenkraftwerke bei Stromüberkapazität vom Netz zu nehmen, wird die Energie genutzt, um elektrolytisch Wasserstoff herzustellen. Dank Rekordpreisen für fossile Energie und  billigem erneuerbarem Strom sind die Kosten für diese Methode in jüngster Zeit stark gesunken. 

 

In den nächsten Monaten wird in Grossbritannien eine der weltgrössten kryogenen Batterien in Betrieb genommen, die Energie über Wochen speichern kann. «Highview Power» plant, mit erneuerbarer Energie Luft bis auf minus 196 Grad abzukühlen, um sie in eine Flüssigkeit zu verwandeln, die in grossen Metalltanks gespeichert wird. Wenn Strom benötigt wird, kann die Flüssigkeit in Gas umgewandelt werden, um eine Turbine anzutreiben. Die sogenannte Kryobatterie soll eine Kapazität von 250 Megawattstunden haben und für fünf Stunden Strom liefern. Es bestehen bereits Pläne von Highview für solche Batterien in Spanien, den USA und in Chile. 

 

Das Rennen um die optimale Vorratshaltung von erneuerbarem Strom ist also in vollem Gang. Die wichtigsten Kriterien sind die Dauer der Speicherung sowie ein möglichst geringer Energieverlust. Stromspeicher sind jedenfalls eines der spannendsten und für die künftige Energieversorgung entscheidendsten technologischen Entwicklungsfelder. 

Christa Dettwiler