Während der Bundesrat an einem neuen CO2-Gesetz herumschraubt, das nichts kosten und keinem wehtun soll, machen einzelne Kantone autonom vorwärts. Dabei ist das Bild durchzogen. Basel-Stadt will seine Leaderposition in Sachen Klimaschutz verteidigen, im Kanton Zürich wehren sich Hauseigentümerverband und SVP gegen ein moderates Energiegesetz, die Verfassung des Kantons Bern wird durch einen Klimaschutz-Artikel ergänzt und im Kanton Glarus hat die Landsgemeinde ein leuchtendes Fanal für den Klimaschutz gesetzt.
Der 19jährige Kaj Weibel strahlt wie ein Maikäfer. Von «Coup» ist die Rede, von «Husarenstück», vom «Wunder von Glarus». Tatsächlich ist im Zigerschlitz Revolutionäres passiert. Die Landsgemeinde hat in schönster Direktdemokratie beschlossen, im ganzen Kanton das Heizen mit fossilen Brennstoffen zu beenden und sich das radikalste Energiegesetz der Schweiz zuzulegen.
Ursprünglich sah der Regierungsrat mindestens zehn Prozent erneuerbare Energien vor. Dann trat eben jener 19-Jährige ans Mikrofon und sprach von seiner Zukunft, die in den Händen der Landsgemeinde lag. Aus den zehn wurden hundert Prozent.
Eine kleine, hoch motivierte Gruppe namens «Klima Glarus» hat das Wunder von Glarus bewirkt. Möglicherweise unter dem Einfluss der Verheerungen des Sommers, möglicherweise weil eine Mehrheit Kai Weibels Sorgen und Ängste verstanden und ernstgenommen hat. Weil sie genug hatte vom Zögern und Zaudern, vom Wenn und Aber, vom Sollten und Müssten.
Auch Basel-Stadt und Neuenburg sind auf demselben Weg. Seit 2017 verbietet der Stadtkanton grundsätzlich Heizungen mit fossilen Brennstoffen, seit diesem Mai sind sie in Neuenburg nicht mehr erlaubt. 17 Kantone sind laut Olivier Brenner von der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren «im Ziel». D.h. sie genügen den «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich», die beim Heizkesselersatz mindestens zehn Prozent erneuerbare Energien vorschreiben.
In Zürich wird Ende November über das neue Energiegesetz abgestimmt. Notwendig geworden ist die Abstimmung, weil der Hauseigentümerverband und die SVP das Referendum gegen das «austarierte Gesetz» ergriffen hat. «Austariert» heisst in diesem Fall alles andere als radikal, manche nennen es auch verwässert. Und dennoch gibt es Opposition.
In Basel-Stadt, das bis zum Glarner Coup das fortschrittlichste Energiegesetz der Schweiz hatte, will die Klima-Gerechtigkeitsinitiative noch weitergehen. Auf dem Kantonsgebiet soll ab 2030 nur noch so viel CO2 ausgestossen werden, wie die Erde absorbieren kann. Dieses Ziel, so tönt es aus der Regierung, sei «zu ambitioniert». Realistisch sei es, Netto Null auf 2040 anzupeilen. Allerdings will der Kanton selbst Vorbild sein und bei den kantonseigenen Immobilien das Ziel bis 2030 erreichen.
Kein Wunder, dass die Klimajugend und die Grünen keine Freude am Gegenvorschlag der Regierung haben. Von «verpasster Chance» ist die Rede. Der Gewerbeverband dagegen unterstützt weder die Initiative noch den Gegenvorschlag. Aber das erstaunt keinen. Seine Argumente gleichen jenen der Kaminfeger im Kanton Glarus, der SVP in der ganzen Schweiz, dem Hauseigentümer-Verband etc. etc. Sie alle sind sich einig, dass man etwas fürs Klima machen müsse, aber was und wann soll idealerweise bis in alle Ewigkeit debattiert werden.
Im Kanton Bern haben die Stimmenden eben einen Klimaschutz-Artikel in der Verfassung verankert. Er verpflichtet Kanton und Gemeinden, sich gegen den Klimawandel und seine Folgen einzusetzen, Klimaneutralität bis 2050 und er verlangt, dass die Klimamassnahmen die Volkswirtschaft stärken sollen.
Was den letzten Punkt angeht, dürfte die neuste Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften* den Befürworterinnen grosse Freude bereiten. Die Analyse kommt zum Schluss, dass etwa bei der Sanierung bestehender Gebäude allein Zehntausende neue Arbeitsplätze entstehen, gerade auch durch den Ersatz von Öl- und Gasheizungen. Dabei betrage die volkswirtschaftliche Wertschöpfung bis 2035 insgesamt 77 Milliarden Franken. Würde die Schweiz jedoch schneller vorwärtsmachen als in den Energieperspektiven 2050+ des Bundes vorgesehen, und das Netto Null Ziel bis 2035 anpeilen, würden über 87 000 neue Arbeitsplätze geschaffen – ein Plus von 70 Prozent. Die Wertschöpfung betrüge dann sogar 145 Milliarden.
Wirtschaftsparteien und Gewerbeverbänden müsste angesichts solcher Zahlen doch das Wasser im Mund zusammenlaufen. Und wenn schon in Glarus Wunder geschehen, kommt vielleicht die nächste radikale Energiegesetzvorlage aus ihren Reihen.
Christa Dettwiler