Es ist das Jahr 2021 und alle Welt ereifert sich über den Benzinpreis. Alle Welt? Nein! Eine von unbeugsamen Leuten bevölkerte Gemeinde bei Freiburg im Breisgau leistet Widerstand. Schon im April beschloss der Denzlinger Gemeinderat Klimaneutralität bis 2035 für die 13 600-Einwohner-Gemeinde. Nachdem die Dächer weitgehend solar aufgerüstet worden sind, packt Bürgermeister Markus Hollemann nun das Verkehrsproblem an.
Dabei wird nicht über Verbote oder höhere Treibstoffpreise gestritten, der Bürgermeister will das Problem an der Wurzel kappen. Er will jene belohnen, die ihren Verbrenner gleich ganz abschaffen. 500 Euro winken allen, die ihr Auto abmelden und sich verpflichten, während drei Jahren kein neues anzuschaffen. Die Prämie ist als Zuschuss zu einem E-Bike oder zu einer Jahreskarte für den Nahverkehr gedacht.
Das Denzlinger-Modell soll aufzeigen, wie das Verkehrsproblem grundsätzlich gelöst werden könnte. Es soll zum Vorbild für die Städte werden, die unter der Automobilität leiden. Zwar werden allenthalben verkehrspolitische Massnahmen zur Eindämmung des Autoverkehrs ergriffen, tatsächlich aber steigt die Zahl der Autos munter weiter.
Der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer hat in einer neuen Analyse festgestellt, dass in 22 von 25 untersuchten deutschen Städten mehr Autos unterwegs sind als im Vorjahr. Und ja, die Pandemie hat das Problem verschärft. Aus Angst vor Ansteckung im ÖV, wählten viele Deutsche die Sicherheit der individuellen Mobilität. So hat sich der Bestand in Deutschland im vergangenen Jahr um 500 000 Autos erhöht. Bedenklich ist, dass ein Grossteil dieser Neuzulassungen Gebrauchtwagen sind. Laut Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes sind 126 000 neu angemeldete Autos älter als 30 Jahre und verbrauchen überdurchschnittlich viel Benzin mit entsprechendem Ausstoss von Schadstoffen und Emissionen.
Das hat auch die Organisation «Changing Cities» aufgeschreckt, die sich für eine spritfreie Mobilität einsetzt. Sie wirbt mit einer Auto-Abschaffprämie von 1 100 Euro, was etwa dem Preis für eine Nahverkehrs-Jahreskarte in Berlin entspricht. Das Geld soll erhalten, wer dauerhaft auf ein eigenes Auto verzichtet oder nie eins hatte. Kerstin Stark von «Changing Cities» sagt: «Um die Klimaziele zu erreichen und Städte wieder lebenswert zu machen, müssen wir den Kfz-Bestand deutlich reduzieren und innerhalb von zehn Jahren halbieren.» Sie hält nicht viel vom Streit um Benzinpreise, denn der «verhärtet unnötig die Fronten».
Mitten in diese Debatte platzt die Nachricht eines Münchner Start-ups, das ein rein solarbetriebenes Fahrzeug auf den Markt bringen will. Sono Motors hat den Sion entwickelt, in dem selbst entwickelte Solarelemente in die Karosserie integriert sind. Allein mit der Sonne kann der Sion pro Jahr rund 6 000 Kilometer zurücklegen. Entwicklungschef Markus Vollmer hat auf Gimmicks verzichtet. Mit einem 120 kW-Motor erreicht das Fahrzeug maximal 140 km/h. «Das reicht für die Stadt und das Umland, wo die meisten Elektroautos zu Hause sind.» Die Reichweite soll auf 305 Kilometer erhöht werden. Dazu gibt’s eine eigene App, die den Schlüssel ersetzt und Mitfahrgelegenheiten vermittelt. So lässt sich das Fahrzeug mit anderen teilen. Zudem ist der Ladekreislauf bidirektional. Das heisst, mit dem im Sion gespeicherten Solarstrom kann auch ein E-Bike geladen oder Lautsprecher betrieben werden. Und sollte die Sonne über Deutschland zu wenig scheinen, weist der Sion einen Anschluss für die Steckdose auf, über den bis zu 75 kW fliessen.
Bei der Lektüre des Artikels über den Sion werden unweigerlich Erinnerungen an die erste Tour de Sol in der Schweiz wach. Das weltweit erste Rennen für Fahrzeuge, die mit reiner Sonne unterwegs waren, führte 1985 von Romanshorn über Winterthur nach Genf. Ja, genau: 1985. Das ist bald 40 Jahre her. Klar, es waren zum Teil höchst abenteuerliche Konstruktionen, die an den zahlreichen Zuschauerinnen an der Rennstrecke vorbeizogen. Aber es gab durchaus auch elegante und technisch hochstehende Fahrzeuge. Als erstes kam damals das Fahrzeug von Mercedes-Benz und dem Schweizer Ingenieurbüro alpha real ins Ziel. Doch die Solarfahrzeuge blieben eine Randerscheinung. Man setzte lieber auf stets grössere, schnellere und schwerere Verbrenner. Auch wenn die Problematik des steigenden CO2-Gehalts in der Atmosphäre auch damals schon er- und bekannt waren. Offenbar schaltet der Zündschlüssel nicht nur den Motor an, sondern auch das Problembewusstsein aus.
Christa Dettwiler