Sprachlos. Fassungslos.

Klimakatastrophe
Bild: Climate Stripes (Ausschnitt)

Der Text für den neuen Klimablog war schon am Samstag geschrieben. Fehlte nur noch die frohe Botschaft vom Sonntag zur Einleitung: das herzhafte Ja der Schweizerinnen und Schweizer zum CO2-Gesetz. War doch alles klar – wer würde nicht Ja sagen zu einem moderaten Schritt Richtung mehr Klimaschutz. Höchstens ein paar Verschwörungstheoretiker, Polit-Hardliner oder Erdölbosse. Ganz sicher nicht mehr als die Hälfte der Abstimmenden. Am Sonntagabend hat es wohl nicht nur mir die Sprache verschlagen. 

Dennoch. Anstatt ins Lamentieren, Analysieren und Schuldzuweisen einzustimmen, werfen wir lieber einen Blick auf das, was die Schweiz konkret zu einem verbesserten Klima beitragen könnte. Denn das, was die neuste ETH-Studie skizziert, stimmt allemal zuversichtlicher als der Blick auf die Abstimmungsergebnisse dieses Wochenendes.

 

Zwar beginnt der schon am Samstag verfasste Text auch mit einem Scheitern, mit dem des Rahmenabkommens mit der EU nämlich. Dieses Scheitern hat einem altbekannten Gespenst neues Leben eingehaucht – der Stromlücke. Es wird immer dann aktiviert, wenn die Energieversorgerinnen nicht weiter wissen oder sich mit Verteilkämpfen konfrontiert sehen. Aktuell wird insbesondere die Winterstromlücke bemüht, denn mit dem gescheiterten Abkommen ist auch das Stromabkommen zwischen der EU und der Schweiz in weite Ferne gerückt. 

 

Gemach – oder wie Urs Rengel, Leiter der Elektrizitätswerke Zürich, in einem Interview mit dem Tages Anzeiger sagte: «Es wird sicher nicht gleich dunkel in der Schweiz.» Immerhin fliesst der Strom aus ganz Europa via 41 Grenzleitungen in und durch die Schweiz. Das heisst, alle sind aufeinander angewiesen. Und – auch das sattsam bekannt – die Belieferung mit einem begehrten Gut ist in erster Linie eine Frage des Preises.

 

Mitten in diese Debatte über das Wie Weiter platzte letzte Woche eine neue Studie der ETH Lausanne und des Schweizer Lawinenforschungsinstituts. Winterstromlücke, kommen die Wissenschaftlerinnen zum Schluss, muss nicht sein. Die Schweiz sei durchaus in der Lage, ihren Strombedarf sogar vollständig aus erneuerbaren Quellen zu decken und sich praktisch unabhängig vom Ausland zu machen. Drei Viertel des fehlenden Energiebedarfs (46 Prozent ohne Schweizer Atomstrom) könnten Wind, ein Viertel die Sonne liefern. Entscheidend sei der Standort der Anlagen.

 

Die Berechnungen der Wissenschaftler haben Faktoren wie Topographie, Mikroklima sowie die Speicherung von Wasserkraft, Wetter- und Satellitendaten berücksichtigt. So hat sich der Jura als geeignetste Region für Windturbinen herausgestellt. 40 Prozent der Anlagen müssten demnach in unbewohnten Gebieten des Juras stehen, der Rest in den Voralpen und Alpen. Auch die Sonnenkraftwerke sollen vorzugsweise in die Berge gebaut werden. Denn dort scheint nicht nur öfter die Sonne, der reflektierende Schnee verstärkt die Sonneneinstrahlung zusätzlich. Um die Schwankungen in der Stromproduktion auszugleichen bieten sich Speicherseen und Pumpspeicher an.  

 

Nun sind Zahlen und Szenarien das Eine, die Realität das Andere. Das geben die Wissenschaftler auch unumwunden zu. So sagt Michael Lehning, Professor und Leiter des an der Studie beteiligten Labors für Kryosphärenforschung: «Die Studie zeigt eine extreme Variante, die sich so kaum umsetzen lässt.» Damit spricht er unter anderem den breiten Widerstand gegen Windkraftwerke in der Schweiz an. Und ein weiterer der Mitverfasser meint, die Politik werde sich wohl irgendwo zwischen der heutigen Situation und ihrem Vorschlag für «Sonne und Wind aus den Bergen» ansiedeln.

 

Aktuell wird «die Politik» wohl eher damit beschäftigt sein, sich die Augen zu reiben und den Scherbenhaufen zu sortieren. Doch danach werden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier ein paar mutige und zukunftsweisende Entscheide zu treffen haben.

Christa Dettwiler