Nach diesem ausserordentlich kühlen Mai ist es schwer vorstellbar, aber die neuen Temperatur-Rekorde werden kommen. Die Weltwetterorganisation WMO geht sogar davon aus, dass der Rekord bei den globalen Durchschnittstemperaturen in den nächsten vier Jahren fallen wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür liege bei 90 Prozent. Selbst die gefürchtete 1,5 Grad Schwelle werde wohl noch vor 2025 überschritten werden. Mit den bekannten Folgen. Kein Wunder pochen Klimaaktivistinnen allenthalben auf rasche und wirksame Massnahmen. Sie wollen nicht einfach warten, bis endlich etwas geschieht, sondern setzen den Hebel an überraschenden Orten an.
Letzte Woche mussten gleich drei Ölriesen am selben Tag einen Schuss vor den Bug hinnehmen, was einen Analysten der Branche zur Aussage bewog, das sei der «Beginn einer neuen Ära» für diesen Industriezweig. «Das lässt sich nicht einfach als schlechten Tag abtun. Die drei Grössten der Branche haben von Aktionären oder Gerichten Kinnhaken einstecken müssen.»
Der Reihe nach. Nach der Aktionärsversammlung am letzten Mittwoch dürfte Exxon-Boss Darren Woods sein vollmundiges Statement im Hals stecken geblieben sein. «Exxon will die Probleme der Gesellschaft als Ganzes lösen», meinte er. Die Strategien der Konkurrenz zur Reduktion der Emissionen seien dagegen ein reiner «Schönheitswettbewerb». Doch dann gewann ein relativ kleiner aber klimaaktiver Hedgefonds zwei Sitze im Vorstand – allen Störaktionen von Darren Woods zum Trotz.
Exxon, muss man wissen, trägt mehr zum Klimawandel bei als viele Staaten. Gegenüber der New York Times sagte Peter Kruss, Chef der Investmentfirma Earth Equity Advisors: «Woods und Exxon leben in einer Märchenwelt des Nichtstuns, während Kalifornien brennt und Texas friert.»
Auch bei Chevron, dem zweitgrössten Ölkonzern der USA, probten die Aktionäre den Aufstand. 61 Prozent verpflichteten das Unternehmen zu weiteren Reduktionen der Emissionen aus der Verwendung ihrer Produkte. Und machte damit den Texas Ölriesen verantwortlich für die Klimaschäden, die ihre Kunden durch das Verbrennen von Öl und Gas verursachen.
In Europa geriet Royal Dutch Shell ins Visier der Klimaschützer. Sieben Umweltorganisationen waren vor Gericht gezogen, um im Namen von 17 000 niederländischen Bürgerinnen mehr Klimaschutz einzufordern. Shell, so argumentierten sie, verletze mit den Milliarden-Investitionen in die Produktion fossiler Brennstoffe die Menschenrechte. Das Gericht gab ihnen Recht und legte fest, der Ölmulti müsse bis 2030 seine Treibhausgas-Emissionen um 45 Prozent gegenüber 2019 reduzieren. Shell kündigte an, Berufung einzulegen.
Diese drei Siege, so sind sich Fachleute einig, dürften Aktivistinnen und Interessensverbänden Aufwind verleihen. Gegenüber dem Wall Street Journal sagte der Risiko-Analyst Will Nichols: «Der Fall Shell zeigt, wie sich die Front gegen Erdölunternehmen ausweitet. Zu den Investoren und Regulatoren, die den Ausstoss von CO2 beschränken wollen, stossen nun auch Gerichte.» Auch die Siege der Aktionäre setzen ein grosses Ausrufezeichen, zumal es Geschichten von David gegen Goliath sind. Exxon Mobil gab laut eigenen Angaben 35 Millionen US-Dollar ein, um den rebellischen Hedgefonds zu bodigen, der für seine Kampagne 30 Millionen einsetzte. Obwohl der Ölriese rund 250 Milliarden Wert ist, verlor er gegen den finanziellen David, der nur über einen Viertel der Finanzkraft verfügt.
Dass die Internationale Energieagentur kürzlich forderte, weltweit keine neuen Öl- und Gasvorkommen mehr zu erschliessen, dürfte die Stimmung der Ölriesen in den USA und in Europa nicht eben gehoben haben.
Christa Dettwiler