Das ist mal eine Schlagzeile: «Bischof hebt Walliser Solar-Bann auf», titelte der TagesAnzeiger letzte Woche. Tatsächlich waren Kirchendächer im Bistum Sitten für die Produktion von Solarstrom bis vor ein paar Jahren tabu. Dank des engagierten Pfarrers Konrad Rieder wird künftig auf der Herz-Jesu-Kirche von Saas-Fee sauberer Strom produziert. Und das ist auch dringend nötig. Denn der Ausbau von Solarenergie harzt in der Schweiz.
Warum das so ist, versucht einer der besten Kenner des Energielandes Schweiz, der Ökonom und Ex-SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner in seinem neuen Buch* zu ergründen. Er führt verschiedene Faktoren auf, die den Solarausbau behindern, und macht eine «systematische Diskriminierung» der Solarenergie aus. So etwa durch bürokratische Hürden – ganz ohne bischöflichen Bann.
Der Hauptgrund, warum die solare Anbauschlacht in der Schweiz nicht vom Fleck kommt, ist überraschend und erst auf den zweiten Blick einleuchtend: Es sei, so Rechsteiner, der überzogene Fokus von Politik und Verwaltung auf die Wasserkraft. Dass sich erneuerbare Energien tatsächlich gegenseitig behindern können, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Der Kanton mit dem geistlichen Solarbann etwa plant in den nächsten Jahren die Wasserkraft für bis zu vier Milliarden Franken auszubauen. Die hohen Investitionen kommen nicht von ungefähr. Denn für Wasserkraft erhalten Kantone und Gemeinden Wasserzinsen. Das ist für viele eine wichtige Einkommensquelle.
Dabei, so rechnet Rechsteiner vor, ist Solarstrom weit günstiger zu haben als Wasserstrom. Grössere PV-Anlagen liefern heute eine Kilowattstunde Strom für zwischen fünf und sieben Rappen. Wasserkraftwerke dagegen produzieren im Schnitt für doppelt so viel. Zudem ist es fatal, Wasserkraft in Konkurrenz zu Solarstrom zu setzen, die beiden erneuerbaren Energieformen sind nämlich ideale Partnerinnen.
Gerade im Winter, wenn laut allen Berechnungen der Strom besonders knapp werden wird, könnten Sonne und Wasser Hand in Hand arbeiten. Speicher-Wasserkraftwerke füllen sich im Sommer mit Schmelzwasser, das im Winter mittels Turbinen in Strom umgewandelt wird. Mit einem kräftigen Ausbau von Solarenergie könnten diese Reserven im Frühling und im Herbst geschont werden, um dann für die sonnenarmen Wintermonate zur Verfügung zu stehen. Deshalb plädiert Rechsteiner für eine Solarpflicht bei Neu- und Umbauten. Es gelte, die Anlagen so zu bauen, dass sie gerade im Winter möglichst viel produzieren.
Rechsteiner räumt ein, dass dafür die Rahmenbedingungen tiefgreifend angepasst werden müssten: Einfachere Verfahren bei Baubewilligungen, tiefere Stromnetz-Tarife und – diese Idee ist bestechend – ein Solarzins für Winterstrom analog zum bestehenden Wasserzins. Das heisst, in Gemeinden, die den Ausbau von Winterstrom aus Solaranlagen vorantreiben, würden die Kassen klingeln. Und bekanntlich ist Geld ein Spitzenmotivator.
Rechsteiners Überlegungen erhalten Rückenwind von höchst unerwarteter Seite. Dieser Tage hat die nicht eben für ihre grüne Haltung bekannte Internationale Energieagentur IEA eine Roadmap für Netto-Null-Emissionen des globalen Energiesektors vorgelegt. Die IEA wurde einst gegründet, um die Ölversorgung zu sichern. Jetzt plädiert sie dafür, keine neuen Öl- und Gasfelder mehr zu erschliessen. Um die Energiewende zu schaffen, müssten weltweit 630 Gigawatt Solarenergie und 390 Gigawatt Windkraft zugebaut werden.
In ihrer Roadmap führt die IEA 400 sogenannte Meilensteine auf, die den Weg zu Netto-Null bis 2050 markieren. Darunter finden sich für die IEA geradezu revolutionäre Forderungen wie keine Investitionen in neue fossile Projekte mehr, keine neuen fossil betriebenen Heizungen mehr (ab 2025) und ab 2035 keine Zulassungen für neue Benziner mehr.
Um das alles zu kompensieren, sagt der IEA-Vositzende Fatih Birol kurz und knapp, brauchen wir «einen historischen Anstieg der Investitionen. Der grösste Teil davon muss in nachhaltige Energie fliessen.»
Christa Dettwiler
Buchhinweis:
Rudolf Rechsteiner, et. al.: Die Energiewende im Wartesaal. Zocher & Peter Verlag, Zürich 2021