Wie hat es der Mensch eigentlich geschafft, sich über alle anderen Arten zu erheben? Kurze Antwort: Es hat ganz zentral mit Energie zu tun. Energie ist der Schlüssel zur menschlichen Weltherrschaft. Während praktisch alle anderen Spezies auf diesem Planeten Energie einzig für die Aufrechterhaltung ihres Metabolismus verbrauchen, treiben wir damit einen unvergleichlich aufwändigen Lebensstil an.
Im Ruhezustand verbraucht ein Mensch etwa so viel Energie wie eine gewöhnliche Glühlampe – rund 90 Watt. In unseren Breitengraden verbraten wir täglich jedoch etwa 100 Mal soviel. Für ein Dach über dem Kopf, um von hier nach da zu gelangen, um Nahrungsmittel anzubauen und zuzubereiten und für dieses und jenes, was unseren menschlichen Alltag eben so ausmacht.
Der Aufstieg zur dominanten Spezies mittels zusätzlichen Energieverbrauchs begann vor Hunderttausenden Jahren mit der Zähmung des Feuers. Es hielt nicht nur warm und schützte vor wilden Tieren, es veränderte auch die Art und Weise, wie der Körper Energie aus Nahrung aufnimmt. Kochen ist eine Art «Vorverdauung» von Nahrung, das heisst, die Energiebilanz für den menschlichen Körper ist wesentlich besser.
Den nächsten entscheidenden Schritt machte der Mensch nach dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 12 000 Jahren, als sich das globale Klima weitgehend stabilisierte. Rund um die Welt brach das Zeitalter der Landwirtschaft an. Das bedingte einerseits einen massiven Energie-Input in Form von anstrengender Handarbeit, brachte andererseits einen Gewinn an Nahrungssicherheit. Äcker funktionieren wie eine Art Solarpanel. Sie verwandeln Sonnenlicht nicht in Strom, sondern in Einheiten von verdaulicher, chemischer Energie. Nahrungspflanzen sind nichts anderes als gespeicherte Energie, die sich aufbewahren lässt für die Wintermonate, mit der gehandelt oder die für eine neue Ernte genutzt werden kann.
Die Pflanzen ernährten auch Tiere, die für die Landarbeit eingesetzt wurden, und deren Mist wiederum die Pflanzen ernährte. Mehr Nahrung bedeutete mehr Menschen, Menschen, die ihr Territorium erweitern und neue Technologien erfinden konnten, die eine noch grössere Nahrungsproduktion ermöglichte.
Im 18. Jahrhundert reichten die Sonnenstrahlen nicht mehr aus, um die rasant gewachsene menschliche Bevölkerung zu ernähren. Der Mensch entdeckte die Kohle. Kohle ist nichts anderes als über Jahrmillionen von Wäldern gespeicherte Solarenergie. Im 20. Jahrhundert kamen die vermeintlich unendlichen Reserven der geologischen Speicher von photosynthetischer Energie dazu – Öl und Erdgas.
Sie machten schier unlimitierte Energie zugänglich. Anstatt über nur eine oder zwei Pferdestärken, verfügte der Mensch jetzt über Zehntausende. Die neuen Energiequellen trieben nicht nur Maschinen, Fahr- und Flugzeuge an, sie dienten auch der Düngerherstellung, die dafür sorgte, eine stetig und schnell wachsende Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Sie machten die Stahl- und Betonherstellung in riesigen Mengen möglich. Oder wie es Vaclav Smil von der Manitoba Universität in Kanada, ein Experte für die Rolle von Energie in unserer Gesellschaft, formuliert: «Ohne fossile Energien, kein schneller öffentlicher Verkehr, keine Flugzeuge, kein Überschuss an Nahrungsmitteln, keine Mobiltelefone made in China, die mit gigantischen Containerschiffen nach Europa transportiert werden.»
Und – kein Klimawandel. Fossile Energieträger haben die weltumspannende Wirtschaft und einen hohen Lebensstandard ermöglicht (wenn auch nicht für alle), und jetzt drohen sie diese ganzen Errungenschaften zu zerstören. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich die bald acht Milliarden Menschen wieder dem zuwenden müssen, was sie schon früh in ihrer Geschichte zu nutzen verstanden – die Sonne, die so verschwenderisch auf unseren Planeten herabstrahlt.
Christa Dettwiler