Seit neustem wollen auch Nestlé und Bill Gates. Die EU will schon länger, der Schweizer Bundesrat ebenfalls, die Grünen sowieso und die Klimajugend erst recht. Alle wollen sie Klimaneutralität. Netto null Treibhausgase. Die einen wollen bis 2030, andere bis 2040, die meisten bis 2050. Sie alle wissen: Nur wenn der Ausstoss von Treibhausgasen möglichst schnell, möglichst massiv eingeschränkt wird, kann die Klimaerwärmung auf zwei, noch besser auf 1,5 Grad begrenzt werden.
Alle legen sie ambitionierte Pläne vor. Die Klimastrategie des Bundesrates, die er Ende Januar als Ergänzung zu den Energieperspektiven vom November 2020 formuliert hat, soll das Ziel netto null bis 2050 «wirtschafts- und sozialverträglich» erreichen. Kernstück der Strategie ist das CO2-Gesetz, über das wir im Juni abstimmen können. Ebenfalls im Januar präsentierte die Gruppe Klimastreik einen 400-seitigen Klimaaktionsplan mit 138 konkreten Massnahmen, wie das Netto-null-Ziel schon 2030 erreichet werden kann.
Im gleichen Monat legte die Grüne Partei Schweiz mit ihrem Plan für eine klimapositive Schweiz nach. Bis 2030 sollen die Treibhausgase gegenüber 2020 halbiert werden, bis 2040 auf null sinken und ab 2040 mehr Treibhausgase eliminiert als produziert werden. Die EU preschte schon im Dezember 2019 mit ihrem «Green Deal» vor, der Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen soll.
Ambitionierte Pläne sind sehr, sehr lobenswert. Allerdings kranken sie alle am Gleichen: Sie müssen umgesetzt werden. Angesichts der dramatischen Lage, zögen in einer idealen Welt alle am gleichen Strick, d.h. Individuen, Wirtschaft, Politikerinnen sähen ein, dass die formulierten Ziele unbedingt erreicht werden müssen. Vereint könnte die Welt sofort vorwärts machen, denn die nötigen Massnahmen sind bekannt und benannt.
Wie wir alle wissen, ist die Welt alles andere als ideal. Partikularinteressen dominieren. Kurzfristige ökonomische Überlegungen überstimmen alles – selbst das langfristige Überleben. In der Schweiz haben Erdöl- und Autoindustrie das Referendum gegen das CO2-Gesetz ergriffen. In der EU macht nicht nur die Autobranche in Obstruktion, auch viele Mitgliedstaaten wehren sich gegen die ehrgeizigen Pläne. Dabei geben sie sich gegenseitig die Schuld.
Klar ist, dass nur der vollständige Ausstieg aus fossilen Energieträgern die Begrenzung der Klimaerwärmung auf unter zwei Grad möglich machen wird. Das bedeutet vor allem für die Energieproduktion, für den Verkehr und für die Landwirtschaft tiefgreifende Veränderungen. Das bedeutet auch Veränderungen im eigenen Verhalten. Sind sich die verschiedenen Klima-Pläne im Grundsatz einig, ist es kein Wunder, dass sie sich in der Art und Weise, wie das gemeinsame Ziel zu erreichen ist, teilweise fundamental unterscheiden.
Bill Gates erkennt das Heil in modernen Atomreaktoren. Der Bundesrat sieht die Lösung vor allem in neuer Technik. Das Thema Wachstum lässt er in seinen Strategien aussen vor. Die Grünen und die Klimajugend dagegen setzen genau da an. Sie wollen vor allem das Wirtschaftswachstum – Produktion und Konsum – beschränken. Sie propagieren neben technischen Neuerungen die Suffizienz, auf gut Deutsch Genügsamkeit. Der Ansatz leuchtet ein. Wie realistisch er ist, bleibt dahingestellt. Die Corona-Pandemie hat nur allzu deutlich gemacht, wie schwer wir uns mit Einschränkungen tun. Wie schwer es uns fällt, genügsam zu sein. Wir wollen so schnell wie möglich wieder reisen, ungehemmt konsumieren, Partys feiern. Es ist zu befürchten, dass der Backlash der behördlich verordneten Einschränkungen umso vehementer ausfällt, je länger sie dauern. Dabei hätten wir jetzt die einzigartige Gelegenheit uns darin zu üben, mit dem, was wir haben, und dort, wo wir sind, zufrieden zu sein.
Christa Dettwiler
Der renommierte Energiejournalist Hanspeter Guggenbühl hat im online-Medium Inforsperber einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Schweizer Klimapläne publiziert.