Angst, so heisst es, sei eine schlechte Ratgeberin. Tatsächlich bewirkt Angst ganz unterschiedliche Reaktionen. Sie kann lähmen oder zu überstürzten Aktionen verleiten. Obwohl die kontinuierliche Erwärmung der Erde die existentiellere Bedrohung darstellt als das Corona-Virus, sind die Reaktionen darauf höchst unterschiedlich.
Andreas Ernst, Professor für Umweltsystemanalyse und Umweltpsychologie an der Universität Kassel erklärt das so: «Wir sind evolutionär für diese Gefahrenlage nicht gebaut. Wir reagieren auf ein Rascheln im Gebüsch blitzschnell. Aber die Bedrohung durch den Klimawandel ist abstrakt.» Weil die Zusammenhänge komplex sind und die Erderhitzung mit Verzögerung kommt, fehle der direkte und unmittelbare Bezug zu unserem Alltagsleben. Dazu kommt, dass die Zahlen und Fakten in Klimaberichten für Laien schwierig einzuordnen und zu durchschauen sind. Die grosse Mehrheit fühlt sich machtlos, ausgeliefert. Wirkungsvolles Handeln ist nicht möglich.
Das stellte auch ein internationales Forscherteam fest, das die IPCC-Berichte analysierte. Kaum vorstellbar für viele Menschen sei zum Beispiel eine ganz grundsätzliche Grösse wie eine Tonne CO2. Auch Gase haben ein Gewicht – das ist aber nicht wirklich fühlbar. Solche Zahlen «erreichen die Psyche des Menschen nicht wirklich», sagt Ernst. Und der Psychotraumatologe Prof. Christoph Nikendei von der Universitätsklinik Heidelberg rät: Bei der Klimakommunikation müsse das emotionale Gehirn mit angesprochen werden, der Klimawandel könne dann Teil der Lebensrealität werden.
Wie wird eine Tonne CO2 fassbar? Sie wird beim Verbrennen von 422 Liter Benzin freigesetzt. Damit kann ein Auto ungefähr 5 400 Kilometer weit kommen. Damit der CO2-Ausstoss einer Autofahrt von 1 000 km kompensiert werden kann, müssten 20 Buchen ein Jahr lang wachsen. Für eine gleich lange Flugreise braucht es schon 33 Buchen, für eine Zugreise dagegen nur eine.
Eine emotional fassbarere Form der Gefahrenkommunikation ist der eine Ansatz, den die Fachleute vorschlagen. Das zweite grosse Hindernis für wirksames Handeln ist das kollektive Verdrängen. Weil die Szenarien einfach zu schrecklich seien, schaue man lieber weg und delegiere das Handeln an andere. Auch dieses Verhalten gelte es, ernst zu nehmen, sagen Nikendei und Ernst. Dazu gehöre etwa, das Ende der Ära der fossilen Brennstoffe zu betrauern, die Anerkennung der eigenen Beteiligung am Klimawandel und ein Wertewandel zu mehr Kooperation statt Konkurrenz. Statt Masslosigkeit in der Gesellschaft sei mehr Teilen, Reparieren und Bewahren notwendig und auch wieder mehr Kontakt zur Natur.
Der Mitte November veröffentlichte Bericht des Bundesamtes für Umwelt über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweiz dürfte kaum dazu beitragen, Ängste zu vertreiben. Die Experten kommen nämlich zum Schluss, dass unser Alpenland besonders stark betroffen ist. Hierzulande hat sich die Durchschnittstemperatur seit der vorindustriellen Zeit um rund zwei Grad erhöht, gut doppelt so viel wie im weltweiten Durchschnitt.
Und die Ende November präsentierten Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie sind nicht eben ein Paradebeispiel dafür, wie das emotionale Gehirn aktiviert werden kann. Die frohe Botschaft ist: Wir können unsere Energieversorgung bis 2050 klimaneutral umbauen. Allerdings zeigen die Szenarien einzig, was es braucht, nicht was sein wird. Es bräuchte zum Beispiel einen massiven Ausbau der Solarenergie – eine Steigerung der installierten Leistung in den nächsten 30 Jahren um den Faktor 13.
Konkret: Wir müssen in Sachen erneuerbarer Energie mächtig zulegen. Die Politik muss radikale Entscheidungen treffen, um günstige Rahmenbedingungen für diesen Ausbau zu schaffen. Gesellschaft und Wirtschaft müssen überzeugt dahinterstehen. Was wäre die Alternative? Millionen von Buchen zu pflanzen?
Christa Dettwiler