Diese Nachrichten sind beunruhigend: Hitzerekorde in der Arktis. 38 Grad in Sibirien, auftauender Permafrost und verheerende Waldbrände. Eisschild auf Grönland verloren. Ölpest vor Mauritius. Allgemeine Verunsicherung angesichts eines neuen Virus … Eine andere Nachricht lässt jedoch hoffen.
Kürzlich äusserte sich Hansjörg Bless von Pronovo überrascht darüber, dass heuer bereits 45 Prozent mehr Förderanträge für Solarkraftwerke eingegangen sind, als das die Vollzugsstelle erwartet hat. Schon im Frühjahr hatte das Bundesamt für Energie eine markante fotovoltaische Steigerung gemeldet. Und der Boom flaut nicht ab.
1 400 Gesuche für eine Einmalvergütung für kleinere PV-Anlagen landen pro Monat auf dem Tisch der Pronovo. Gutgeheissen werden monatlich 2 000 Gesuche. Das heisst, die Warteschlange wird kürzer. Wer vor Jahren einen Antrag auf Fördergelder für Solarstrom stellte, musste sich auf eine sehr lange Wartezeit einstellen. Damit soll jetzt Schluss sein. Waren es zu Jahresbeginn noch 17 000 Gesuche und eine Wartefrist von 18 Monaten, soll die Frist bis Ende Jahr halbiert werden.
Das hat nicht zuletzt mit dem gut gefüllten Fördertopf zu tun: Der ist mit 376 Millionen Franken ausgestattet, fast doppelt so viel wie noch 2018. Ein weiterer Grund sind die verkürzten Wartefristen, die das UVEK aufgrund der Corona-Situation beschlossen hat.
Als «besonders spektakulär» erachtete Swissolar im April noch den Zubau bei den Anlagen über 1 MW. Dort stieg der Zuwachs der Leistung gleich um den Faktor 9. Die Grösse macht’s. Im Vergleich zu 2018 (19.4 Kilowatt), liegt die durchschnittliche Grösse aktuell bei 22.5 kW. Auf Industrie- und Gewerbebauten wurden 39 Prozent mehr Leistung zugebaut.
Aktuell sind es jedoch kleinere Anlagen, die den Solarboom vorantreiben. Insbesondere werden Einfamilienhäuser solar aufgerüstet. Für David Stickelberger von Swissolar ist klar, warum: «Die Pandemie weckt das Bedürfnis nach einer sicheren Versorgung aus der Nähe.» Zudem hätten Bauherrschaften den Lockdown genutzt, um schon länger geplante Projekte anzupacken.
Zufrieden ist Swissolar trotz des Zwischenhochs nicht wirklich. Immer noch deckt die Sonne nur gerade knapp vier Prozent des Schweizer Strombedarfs. 2.5 Gigawatt sind aktuell installiert. Um AKW und fossile Energieträger zu ersetzen, wären 50 Gigawatt nötig. So gesehen ist der Zubau von 332 MW 2019 schlicht nicht ausreichend.
Um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, müsste die Schweiz in den nächsten 30 Jahren das Zwanzigfache der heutigen Leistung zubauen – jährlich mindestens 1 500 Megawatt. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt.
Die acht Millionen Hektar Wald, die seit Anfang Jahr in Sibirien verbrannt sind und der verschwundene Grönländer Eisschild reichen offenbar noch nicht, um der treibhausgasfreien Energieversorgung den nötigen Schub zu verleihen. Vielleicht gelingt das ja dem neuen Forschungszentrum in Davos, das im Januar 2021 in Betrieb genommen wird. Der Kanton Graubünden und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft setzen 40 Wissenschaftlerinnen ein, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen des Klimawandels im Gebirgsraum erforschen sollen. Klimaforscher Knutti weiss, dass das Netto-Null-Ziel drastische Massnahmen bei Heizungen, in Industrie, Landwirtschaft, beim Strassenverkehr und bei Flugreisen erfordert. Lakonisch konstatiert der ETH-Professor: «Doch da beisst sich die Politik die Zähne aus.»
Christa Dettwiler