Zwei Schlagzeilen am selben Tag: «5,7 Milliarden Kilowattstunden. Sonniges Wetter im Mai führt zu Solarstromrekord.» Das ist die eine, die andere: «Neues Kohlekraftwerk geht ans Netz. Umweltschützer protestieren gegen Datteln 4.»
Diese beiden Meldungen charakterisieren die Inkonsequenz nicht nur der deutschen Klimapolitik. Es ist wirklich kaum zu glauben, dass der beschlossene Kohleausstieg im Nachbarland mit einem neuen Kohlekraftwerk eingeleitet wird. Interessant ist, dass nicht nur Klimaschützerinnen vor Ort aufliefen. Sie standen Seite an Seite mit ehemaligen Bergleuten. Ihre Begründung: Der Steinkohlebergbau in Deutschland werde eingestellt, den Arbeitern gekündigt, für Datteln 4 aber werde Kohle aus dem Ausland importiert.
Diese klimatische Schizophrenie ist nur ein Beispiel, wie Worte und Taten beim Klimaschutz auseinanderklaffen. Andere Beispiele sind verkaufsfördernde Prämien für Benzinautos oder milliardenschwere Rettungspakete für Fluglinien, ohne jegliche Bedingungen bezüglich Umweltschutz. Sie alle belegen, dass die Ökonomie nach wie vor oberstes Primat ist, wenn es ums Umsetzen all der schönen Dossiers, Dokumente, Pläne und Verlautbarungen zum Klimaschutz geht.
So lange das so ist, brauchen wir uns keine Illusionen zu machen. Das Klima wird weiter aufgeheizt, die Umwelt leidet, die Menschen ebenfalls.
Wie viele Krisen braucht es denn noch, damit wir endlich kapieren, dass es auch anders geht? Denn Krisen, das belegen Zahlen und Fakten, senken den CO2 -Ausstoss wirksamer als alles andere. Im April dieses Jahres lag der globale CO2 -Ausstoss um rund einen Sechstel tiefer als im Vorjahr. In der Schweiz betrug der Rückgang im sogenannten Lockdown zeitweise sogar 28 Prozent.
Der Rückgang der Treibhausgase in der Corona-Krise ist historisch. So schreibt das online-Magazin Republik: «Weder die beiden Weltkriege noch die Öl- und Wirtschaftskrisen ab den 1970er-Jahren vermochten dem CO2 -Ausstoss einen ähnlichen Dämpfer zu versetzen.»
Dass der Verkehr zu Land, zu Wasser und in der Luft weniger als die Hälfte der Treibhausgase ausstiess, als in einem normalen Jahr, überrascht wohl wenig. Aufhorchen lässt allerdings, dass die Sektoren Oberflächenverkehr, Industrie sowie Strom- und Wärmeproduktion mit 86 Prozent am totalen Emissionsrückgang beteiligt waren. Das heisst, in diesen drei Sektoren ist das Potenzial für Verbesserungen eindeutig am grössten. Über die Aussichten, ob sich dieses eindrückliche Potenzial auch langfristig ausschöpfen lässt, sind sich die Expertinnen uneins. Die Zahlen stimmen eher pessimistisch: Trotz des historischen Rückgangs stösst die Welt auch dieses Jahr weit über 30 Milliarden Tonnen fossiles CO2 aus. Wie, um Himmels Willen, soll es bis in 30 Jahren auf netto Null fallen?
Immerhin hat die aktuelle Krise deutlich gemacht, wie individuelles Handeln den CO2 -Ausstoss beeinflusst. In vielen Städten boomt das Fahrrad. Erneuerbare Energieträger haben sich gegenüber fossilen bewährt und werden laut Internationaler Energieagentur bei der globalen Energieproduktion als einzige in diesem Jahr zulegen.
Daran wird auch Datteln 4 nichts ändern.
Christa Dettwiler