Klima-Viren

Zynikerinnen könnten behaupten, das Coronavirus sei immerhin gut fürs Klima. Tatsächlich haben sich die reduzierte Wirtschaftstätigkeit und die gestrichenen Flüge sehr schnell, sehr positiv aufs Klima ausgewirkt. Kurzfristig zumindest. Denn es ist zu erwarten, dass in beiden Bereichen heftig kompensiert werden wird, sobald die akute Bedrohung vorbei ist. 

Es ist schon verblüffend, wie schnell Menschen zum Verzicht bereit sind, wenn sie eine Gefährdung als real erachten. Droht Gefahr allerdings erst in der Zukunft, warten wir lieber erst einmal ab, bevor wir in Hektik ausbrechen. 

 

Es könnte allerdings sein, dass die aktuelle hektische Übung nicht die letzte gewesen sein könnte. Arturo Casadevall, Professor für molekulare Mikrobiologie, Immunologie und Infektionskrankheiten an der Johns Hopkins University, kommt in einem im «Journal of Clinical Investigation» erschienenen Artikel, ohne Umschweife zum Punkt: «Da sich Mikroben an höhere Temperaturen anpassen können, besteht die Sorge, dass die globale Erwärmung Mikroben mit einer höheren Hitzetoleranz hervorbringen wird. Wenn diese Bedrohungen eintreten, wird die Medizin mit neuen Infektionskrankheiten konfrontiert werden, mit denen sie keine Erfahrung hat. Obwohl die Erfahrungen mit Borreliose, HIV, SARS-Coronaviren, Zika-Virus und C. auris zeigen, dass Medizin und Wissenschaft schliesslich erfolgreich mit neuen Diagnostika, Kontrollmaßnahmen und Therapeutika auf bisher unbekannte Mikroben reagieren können, brauchen wirksame Reaktionen Zeit, und in der Zwischenzeit sind unzählige Menschenleben verlorengegangen.»

 

Auch der «Lancet Countdown 2019», der den Einfluss des sich verändernden Klimas auf die menschliche Gesundheit untersucht, stellt fest, dass in der Zukunft die Menschheit nicht nur an neuen Krankheitserregern, sondern auch an den sich verändernden Umweltbedingungen leiden wird. 

 

Die neuen Krankheitserreger, welche die Lancet-AutorInnen erwähnen, könnten so neu gar nicht sein. Womöglich sehen wir uns in Zukunft mit uralten Erregern konfrontiert, die vorläufig noch in Permafrostböden ruhen. Tauen diese Böden auf, setzen sie nicht nur massive Mengen Treibhausgase frei, insbesondere Methan, es können auch Bakterien und Viren aus der Froststarre erwachen, die Krankheiten auslösen, die längst besiegt schienen. Wissenschaftler warnen vor Pocken, Beulenpest und Milzbrand. 

 

Der Evolutionsbiologe Jean-Michel Claverie erklärt die Gefahr so: «Pathogene Viren, die Tiere oder Menschen infizieren können, könnten in alten Permafrostschichten erhalten geblieben sein, eingeschlossen einiger Erreger, die in der Vergangenheit globale Epidemien verursacht haben.»

 

Eines hat das Coronavirus deutlich gemacht: Regierungen sind durchaus fähig, schnell und entschieden zu handeln. Die Wirtschaft ist durchaus fähig, sich schnell auf neue Bedingungen einzustellen. Die Menschen sind durchaus fähig, schnell auf Dinge zu verzichten, die sie vorher als lebensnotwendig erachteten – Flugreisen zum Beispiel.

Christa Dettwiler