Der Bio-Champagner ist ausgetrunken, die slow-food Häppchen sind vertilgt, der Nachwahlkater maunzt leise vor sich hin. Medienanalysen und -kommentare strotzen nur so vor Superlativen. Stellvertretend soll hier Daniel Binswanger vom Online-Magazin «Republik» zu Wort kommen:
«Nicht nur so mächtig, sondern auch so unvorhergesehen wie ein echter Tsunami ist gestern eine grüne Welle durch die Schweiz gefegt. Historisch, noch nie da gewesen, ein Epochenwechsel: Die Grüne Partei legt mit einem Schlag um 6,1 Wählerprozente und um 17 Parlamentssitze zu – der höchste Sitzzuwachs seit Einführung des Proporzsystems im Jahr 1919 – , sie zieht quasi mit der FDP gleich, wird zur viertstärksten politischen Kraft im Land. Die Grünliberalen legen 3,2 Prozentpunkte und 9 Sitze zu. Nie ist ein Wählerauftrag in der Schweizer Politik klarer und deutlicher ausgesprochen worden: Die Bevölkerung will eine klimapolitische Wende. Ohne Wenn und Aber.»
Die Bevölkerung also. Aber wer ist denn diese Bevölkerung? Nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten machten von ihrer Berechtigung Gebrauch, setzten sich für zehn Minuten hin, um die Wahlzettel zu sortieren und den passenden auszuwählen. Von jener Hälfte, die wählten, gab wiederum die Hälfte (25,6 %) ihre Stimme für die SVP ab. Der «Tsunami» bestand, wenn man Grüne und Grünliberale zusammennimmt (was nicht ganz unproblematisch ist) aus 21 % (Grüne 13,2 %, Grünliberale 7,8 %). Weniger als die Hälfte der Hälfte wählte am vergangenen Wochenende also grün.
Verstehen Sie das nicht falsch. Natürlich freue ich mich ausserordentlich über den klimafreundlichen Wahlausgang. Auf jeden Fall können wir gespannt sein, was für Pflöcke das neue Parlament in Sachen Klimaschutz einschlagen wird. Dennoch maunzt der Wahlkater leise vor sich hin. Das Maunzen wird zum Knurren, wenn man sich durch die Kommentarspalten zu den Wahlen zappt. Da herrscht nämlich keineswegs Euphorie über den historischen Tsunami, da geht die Welt unter! Thema Nummer 1 ist der Benzinpreis, dicht gefolgt von Flugpreisen – garniert mit zahllosen Ausrufezeichen und Grossbuchstaben. Die Wirtschaft ist in Lebensgefahr.
Ist es das, was jene über 50 % tun, die nicht zur Urne gehen? Anstatt zu wählen, kommentieren sie? Lamentieren sie? Malen sie den Teufel an die Wand? Herrjeh, die Grünen kommen, haltet das Portemonnaie fest.
Es ist eigentlich ganz banal: Klimaschutz kostet. Und das soll er auch. Schliesslich haben wir Jahrzehnte, mittlerweile sind es schon Jahrhunderte, auf Kosten der Umwelt gelebt. Dass sie uns jetzt die Rechnung präsentiert, ist nichts als folgerichtig. Das neue Parlament wird also unpopuläre Entscheidungen fällen müssen. Der Wahlkater wird nicht zur Ruhe kommen. Er wird sich noch das eine oder andere Mal an die Urne bemühen müssen, bevor Klimaschutz gesetzlich geregelt wird. Die Referenden gegen griffige Gesetze sind so sicher wie «die Angst des Volkes» vor höheren Benzinpreisen.
Christa Dettwiler