Erderwärmung lässt Menschen kalt

Ai generiert, Klimawandel, Eisscholle.

Bild: Gerd Altmann

 

Die guten Nachrichten vorab: Im vergangenen Jahr stieg nicht nur die globale Durchschnittstemperatur auf einen neuen Rekordwert, dasselbe gilt auch für den Zubau an erneuerbaren Energien. Weniger gut schneidet dagegen das klimafreundliche Verhalten der menschlichen Wesen ab. Wie eine neue Studie zeigt, scheint es nicht ganz einfach zu sein, den persönlichen ökologischen Fussabdruck einzuschätzen.

 

Um satte 50 Prozent hat die Kapazität erneuerbarer Energien im letzten Jahr zugelegt, gibt die Internationale Energie Agentur IEA bekannt. Sie tragen neu mit 510 Gigawatt zur globalen Energieversorgung bei. Allen voran schreitet die Solarenergie, die drei Viertel des weltweiten Zubaus ausmacht. Am meisten dazu beigetragen hat China. Dieses Land allein hat letztes Jahr mehr Solarkapazität installiert als der Rest der Welt zusammen.

 

Allerdings wurden auch Rekordwerte in Europa, den USA und Brasilien verzeichnet. Der Anstieg ist so rasant, dass die Erneuerbaren ab anfangs 2025 die bisherige Nummer 1, die Kohle, überholen könnten. Hält der Booom an, dürften erneuerbare Quellen ab 2028 schon annähernd die Hälfte der weltweiten Stromproduktion ausmachen.

 

Bei allen Superlativen - das Cop 28-Ziel, die erneuerbare Energieproduktion bis 2030 zu verdreifachen, wird wohl verfehlt. IEA-Direktor Fatih Birol ist optimistisch, dass wenigstens das Zweieinhalbfache erreicht wird: "Wir sind nicht ganz auf der Zielgeraden, aber wir sind auch keine Million Meilen davon entfernt."

 

Wenn es um Klimaschutz geht, ist die Energieproduktion einer der entscheidenden Faktoren für das Gelingen. Ein zweiter ist das Verhalten der menschlichen Population auf diesem Planeten. Um Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, müsste der pro Kopf-Ausstoss in unseren Breitengraden auf unter eine Tonne gesenkt werden. Das Solar-Unternehmen Helion hat bei der Forschungsstelle Sotomo eine Studie in Auftrag gegeben, die die Klimafreundlichkeit der Schweizerinnen und Schweizer unter die Lupe nimmt. Eine der Fragen lautete: Wie klimafreundlich schätzten sich die Befragten gegenüber der Durchschnittsbevölkerung ein. Fazit: querbeete Selbstüberschätzung.

 

Überraschend auch, dass laut Studie ausgerechnet junge Erwachsene (18 bis 35 Jahre) den grössten Fussabdruck hinterlassen. Sie belasten das Klima jährlich mit 11,3 Tonnen CO2, während der Durchschnitt mit 10,5 Tonnen zu Buche schlägt. Hauptgrund: Die Jungen steigen gerne mal in ein Flugzeug. Im Tages Anzeiger relativiert Studienautor und Sotomo-Geschäftsführer Michael Hermann diese Zahlen: Eine kleiner Teil der jungen Generation fliege und konsumiere sehr viel. "Diese Minderheit treibt den Schnitt nach oben und macht die Klimabilanz der Jungen kaputt."

 

Es fällt auch auf, dass Menschen in Städten und auf dem Land mit praktisch gleich grossen Füssen unterwegs sind. Während auf dem Land das Auto mehr Treibhausgase verursacht, sind es für Städter die Flugmeilen. Weniger überraschend ist die Erkenntnis, dass Wohlhabende die grössten Füsse haben. Das ist in der Schweiz nicht anders als im Rest der Welt. Sie hinterlassen im Schnitt 14,8 Tonnen im Jahr. Und dann ist da noch die Genderfrage. Tatsächlich leben Frauen, vor allem ältere Frauen, etwas klimafreundlicher. Das hat primär damit zu tun, dass sie wesentlich weniger mit dem Auto unterwegs sind.

 

Zu denken gibt die Frage, ob man denn bereit sei, das eigene Leben  noch klimafreundlcher zu gestalten. Dazu ist weniger als die Hälfte der Befragten bereit. Das hat wohl auch damit zu tun, dass das eigene Verhalten von einem Grossteil zu positiv eingeschätzt wird. Unter verzerrter Wahrnehmung leiden die Spitzenverdiener am meisten.

 

Noch mehr Stirnrunzeln jedoch verursacht die Tatsache, dass ein Drittel der Befragten ganz oder "eher" daran zweifelt, dass menschliches Verhalten die Klimakrise herbeigeführt hat. Und rund zwei Dritteln geht das Thema schlicht und einfach auf die Nerven. ETH-Klimaforscher Reto Knutti, der sich die Resultate der Studie genau angesehen hat, interpretiert dieses Resultat als psychologische Strategie, um die eigene Untätigkeit zu begründen: "Die meisten wollen mit dieser Antwort signalisieren, dass die Freiheit des Individuums für sie über allem steht und sie nicht bereit sind, zugunsten des Klimas zu verzichten."

 

Vielleicht werden in Zukunft die biegsamen und atmungsaktiven Solarkonzentratoren Abhilfe schaffen, die an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa entwickelt werden. Sie werden auf Textilfasern platziert, bündeln das Licht und leiten es an eine Solarzelle weiter, die Strom produziert. So kann irgendwann einmal vielleicht das Smartphone mit der Designerjacke geladen werden.

 
Christa Dettwiler