Der Bundesrat wird (radio)aktiv

Atomkraftwerk mit Sonnenuntergang
Bild: Markus Distelrath

Nein, es sind nicht die Unbelehrbaren, die Ewiggestrigen. Es sind nicht jene, die Altes und Überholtes einfach nicht loslassen können. Nein. Es ist der Schweizer Bundesrat in corpore, der dem Parlament ans Herz legt, den Bau neuer AKW anzudenken. Irgendwie passt das zur Aussage des aktuellen Cop28-Präsidenten, der allen Ernstes sagt, es gäbe keine wissenschaftlichen Beweise, dass ein Ausstieg aus den Fossilen notwendig sei, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen.

Nur zur Erinnerung: Vor gerade einmal sechs Jahren, haben 58 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten den Bau neuer Atomkraftwerke verboten. Die meisten Parteien unterstützten das Verbot, FDP inklusive. Mittlerweile jedoch grassiert die Angst, Angst vorm Frieren, Angst vor dauergeparkten SUVs, Angst vor stillstehenden Fabriken. Strom ohne Atom erscheint als unerreichbare Utopie, und Laufzeitverlängerungen oder gar Neubauten werden in bürgerlichen Kreisen wieder salonfähig.

Da ist zum einen die "Stopp-Blackout-Initiative", für die schon mehr als 100 000 Unterschriften gesammelt sind. Dahinter steckt der stramm bürgerlich besetzte Energieclub, der die Atom-Option wieder auf die politische Agenda setzen will. Und da ist auch FDP-Präsident Thierry Burkart, der ein Postulat eingereicht hat, das unter anderem auch den Bau neuer Atommeiler ermöglichen will. Die Vermutung liegt nahe, dass der Bundesrat unter Einfluss des Energieministers und expliziten AKW-Fans Rösti dem Parlament die Annahme des Postulats empfiehlt.

Eine Forderung des Postulats ist besonders clever: Der Bundesrat soll klären, welche Gesetzesänderungen nötig wären, um alten AKW neue Reaktoren einzupflanzen Für den Grünen Nationalrat Bastien Girod ist die Sache klar. Ein neues AKW käme frühestens in 20 Jahren ans Netz, zu spät für die Energiewende. Und fürNils Epprecht, Geschäftsführer der Schweizer Energiestiftung ist der Vorstoss gar ein Widerspruch zu den Grundwerten der FDP: "Ausgerechnet ein Liberaler will mit Staatsmilliarden alte AKW am Leben erhalten, obwohl diese unweigerlich an ihr technisches Lebensende kommen."  Für Zündstoff in der an diesem Montag beginnenden Session ist jedenfalls gesorgt.  

Dass viele Bürgerliche das Heil plötzlich wieder in Uralt-Technologien suchen, hat möglicherweise mit dem stockenden Solarexpress zu tun, der im Herbst vor einem Jahr mit grossem Trara auf die Schienen gesetzt worden war.  Dutzende grosse alpine Solaranlagen sollten die saubere Stromversorgung der Schweiz richten. Manch eine rieb sich damals verwundert die Augen, als selbst die SVP sich vor lauter Fortschrittlichkeit  in die Brunst schlug und die Kritiker als ewige Nörgler abtat.

Mittlerweile liegen die ersten Baugesuche für solche Anlagen vor. Und das, wovor Kritikerinnen von Anfang an warnten, bestätigt sich: Allein die bislang geplanten PV-Anlagen würden so viel Strom liefern, dass die bestehenden Netze überfordert wären. Eine  Verstärkung der Leitungen jedoch dauert Jahre. SRF hat das Problem mit  der greplaten Anlage "Morgeten" hoch über dem Simmental  illustriert: Im Berner Oberland soll auf 2 100 Metern über Meer eine Anlage gebaut werden - "weit weg von einem leistungsfähigen Stromnetz und weit weg von den Verbrauchern". Andreas Ebner, Leiter der Netzplanung beim Energiekonzern BKW sagt, das werde bei vielen alpinen Solaranlagen der Fall sein. Das Problem sind nicht nur Zeit und Kosten. SRG zitiert Ebner so: "Die Leitung quert auf einer Länge von zehn Kilometern potenziell viele Schutzgebiete und tangiert die Rechte ganz vieler Grundeigentümer." Konkret sind es Hunderte...

Vielleicht würde sich für alle Realitätsverweigerer wie der Cop-28 Präsident, für unsere parlamentarischen AKW-Nostalgiker und Solarexpress-Lokführerinnen die Lektüre der Studie der Deutschen Energie-Agentur lohnen, die das Poternzial eines dezentralen Energiesystems untersucht, in dem der erneuerbare Strom primär dort produziert wird, wo er gebraucht wird, und wo Nachbarn ihn sogar untereinander handeln können. Lesen Sie im nächsten Blog mehr darüber.

 

Christa Dettwiler